Kräftige Erholung mit Rückkehr zur Normalität im zweiten Halbjahr 2021 in Sicht
Nachdem das Jahr 2020 ganz im Zeichen der Pandemie, der Lockdowns und der gigantischen Rettungsprogramme der Notenbanken und Regierungen zur Stärkung der Wirtschaft stand, dürften die entscheidenden Fragen mit Blick auf das Jahr 2021 lauten, wie schnell ein wirksamer Impfstoff verteilt werden kann und welche realwirtschaftlichen Folgewirkungen die diesjährigen Stimulusmassnahmen haben.
Angesichts erneuter nationaler Lockdowns in grossen europäischen Volkswirtschaften wie Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Grossbritannien und neuer Rekorde bei den täglichen Neuinfektionen in den USA kännte es im vierten Quartal 2020 noch einmal zu einem Rückgang des realen BIP kommen, gefolgt von einer unsicheren Wachstumsentwicklung im Jahr 2021. Solange das Virus nicht unter Kontrolle ist, dürfte der Nordhalbkugel ein schwaches erstes Quartal 2021 bevorstehen. Dank der enormen geld- und fiskalpolitischen Stimulusmassnahmen der Zentralbanken und Regierungen der Industrieländer könnte es im Anschluss aber zu einer relativ kräftigen Erholung kommen, vor allem, falls ein Impfstoff zur Verfügung stehen sollte.
John Greenwood, Invesco-ChefökonomSobald sich dieser Eindruck einer Rückkehr zur Normalität durchsetzt und die Verbraucher und Dienstleistungsunternehmen wieder Vertrauen fassen, dürfte sich auch das wirtschaftliche Umfeld deutlich aufhellen – ganz anders als im Nachgang der globalen Finanzkrise, als die Erholung lange Zeit überhaupt nicht richtig in Gang kam.
Der Hauptgrund für den so viel besseren Ausblick sind die beispiellosen Hilfszusagen, mit denen die Zentralbanken und Regierungen die Wirtschaft am Laufen halten wollen. Nachdem diese bislang vor allem an den globalen Aktienmärkten für Auftrieb gesorgt haben, gehen wir davon aus, dass die weiteren Übertragungseffekte in der zweiten Jahreshälfte 2021 zum Tragen kommen werden, wenn die privaten Haushalte und Unternehmen damit beginnen, die 2020 angehäufte Überschussliquidität auszugeben.
Der theoretische dritte Übertragungseffekt – eine höhere Verbraucherpreisinflation – dürfte frühestens 2022 zum Tragen kommen. Möglicherweise wird die Inflation aber auch erst später anziehen, falls die Verbraucher und Unternehmen vorsichtig bleiben und angesichts wiederholter Infektionswellen lieber höhere Barbestände halten sollten, oder die Zentralbanken und Regierungen versuchen sollten, die Folgewirkungen der Stimulusmassnahmen des Jahres 2020 zu begrenzen oder umzukehren.
Im Gegensatz zu den Industrieländern sind China und andere ostasiatische Volkswirtschaften auf einem stabilen, aber unspektakulären Wachstumspfad, gestützt durch moderate Zinssenkungen und Kürzungen der Mindestreservevorgaben. Obwohl Asien das Virus erfolgreicher eingedämmt hat, steht die Region vor dem Problem, dass die Exportnachfrage gedämpfter ist als in einer typischen exportgetriebenen Erholung. China und Japan dürften vor diesem Hintergrund ein solides Wachstum der Binnennachfrage verzeichnen, während sich die Exporte, ihr traditionell stärkster Wirtschaftsbereich, nur langsamer erholen werden.
Der Ausblick für die US-Wirtschaft hingegen wird von zwei gegenläufigen Kräften bestimmt: einerseits dem Ausmass der geld- und fiskalpolitischen Hilfsmassnahmen und andererseits dem Unvermögen der abgewählten Trump-Regierung, eine schlüssige nationale Strategie zur Bekämpfung der Pandemie zu entwickeln, was sich weiterhin in weitreichenden Verwerfungen in wichtigen Branchen wie der Luftfahrt und dem Hotel- und Gastronomiesektor niederschlägt. Insgesamt prognostizieren wir für 2021 ein reales BIP-Wachstum von 3,8% für die USA, wobei die Inflation infolge des früheren Rückgangs des Ölpreises und der anhaltend gedämpften Dienstleistungsausgaben bei nur 2,2% liegen dürfte.
John GreenwoodDas bedeutet, dass sich der private Konsum, die Investitionen und die Beschäftigung voraussichtlich sehr viel schneller erholen werden als nach einer typischen Rezession, und so für einen überraschend kräftigen Aufschwung sorgen dürften.
Da der Fokus der Nothilfeprogramme der Europäischen Zentralbank (EZB) weiter darauf liegt, die Banken zu einer höheren Kreditvergabe zu bewegen, anstatt Wertpapiere von institutionellen Investoren ausserhalb des Bankensektors anzukaufen, wächst die Geldmenge in der Eurozone weiter sehr viel langsamer, als es ansonsten der Fall wäre. Trotzdem rechnen wir damit, dass die günstigen monetären Bedingungen und die wachstumsförderliche Geld- und Fiskalpolitik die Wirtschaft der Eurozone weiter stärken werden. Ein reales BIP-Wachstum von 4,5% für 2021, bei einer Inflation von lediglich 1%, erscheint realistisch.
In Grossbritannien sorgen die andauernden Brexit-Verhandlungen mit der Europäischen Union bei den Unternehmen weiter für Verunsicherung, weshalb das reale BIP-Wachstum unter dem Trend bleiben dürfte, bis ein finales Handelsabkommen mit der EU steht. Prognosen bleiben vor diesem Hintergrund schwierig und sind mit einer hohen Fehlermarge behaftet. Ein reales BIP-Wachstum von 6% für Grossbritannien im Jahr 2021 und eine Inflation von 1,2% liegen aber in einem zu erwartenden Bereich.
In Japan rechnen wir nach der vorübergehenden Ankurbelung des Geldmengenwachstums seit März und der massiven fiskalischen Stimulusmassnahmen im Jahr 2021 mit einem realen BIP-Wachstum von 2,5%, wobei die Inflation bei unter 0,2% verharren dürfte.
Die Schwellenmärkte, deren Wachstum auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie weniger stark eingebrochen war als in den Industrieländern, haben eine relativ robuste Erholung verzeichnet. Am stärksten war der Rückgang der Wirtschaftsaktivität in der Region EMEA, am geringsten in Asien (angeführt von China). Die chinesische Wirtschaft ist bereits wieder auf gutem Kurs, um zu einem Trendwachstum von rund 5 bis 6% pro Jahr zurückzukehren.