Andreas Zingg: «Wir beobachten, dass viele Anbieter das Schlagwort ESG als Köder benutzen, um neue Kunden anzulocken.»

Andreas Zingg ist Schweizer Länderchef von Vanguard und teilt mit uns seine Sicht der Dinge in Bezug auf Differenzierungsmerkmale von Asset Managern, ESG-Ratings und das Preisgefüge von nachhaltigen Finanzprodukten.

Andreas Zingg, die Fondsanbieter überbieten sich gegenseitig mit neuen nachhaltigen Produkten. Wie können sich Fondsmanager angesichts dessen auf glaubwürdige und nachvollziehbare Weise von der Masse differenzieren?

Andreas Zingg: Bei nachhaltigen Anlagen sind verschiedene ESG-spezifische Kundenbedürfnisse zu beachten. Anleger wollen nicht in Unternehmen investieren, deren Aktivitäten ihren persönlichen Werten widersprechen, sondern in Firmen, die positiv auf Gesellschaft und Umwelt einwirken. Wir bieten diesen Kunden Produkte, die klare und glaubwürdige ESG-Ziele verfolgen und mit denen sie zugleich ihre Renditeziele erreichen können. Hierfür sortieren wir alle Emittenten aus unserem nachhaltigen Anlageuniversum aus, die beispielsweise mit nicht-erneuerbaren Energien oder Waffen in Verbindung stehen oder die Grundwerte verletzen, wie sie etwa im UN Global Compact definiert sind.

Unabhängige Nachhaltigkeits-Ratings gewinnen immer mehr an Bedeutung. In einer aktuellen Studie kommen drei etablierte Rating-Agenturen aber nur bei 11 von 235 Unternehmen zum gleichen Ergebnis. Offenbar definiert jede Agentur den Nachhaltigkeitsbegriff anders. Setzt man damit nicht das Anlegervertrauen aufs Spiel?

Bei vielen Unternehmen sind sich die führenden ESG-Rating-Provider weitgehend einig. Aber es finden sich natürlich auch Unterschiede. Rating-Agenturen und auch die Forschung haben unterschiedliche Ansichten darüber, welche Kriterien man misst, wie man sie gewichtet bzw. welche Materialität man ihnen beimisst und wie die Kriterien zu einem Gesamtwert verdichtet werden. Inzwischen wird dieses Thema von Anlegern und Regulatoren stärker beachtet, was uns zuversichtlich stimmt. Wir werden die Entwicklungen weiterhin eng verfolgen.

Wir beobachten, dass viele Anbieter das Schlagwort ESG als Köder benutzen, um neue Kunden anzulocken. Ein Marketing-Trick – genauso wie der neue Trend zu komplett gebührenfreien Produkten.

Andreas Zingg, Vanguard

Weil die Vermögensverwaltungsbranche sich offenbar nicht auf einheitliche Nachhaltigkeitsstandards einigen kann oder will, muss sich die Politik einschalten und eine allgemeingültige Taxonomie durchsetzen. Wäre ein proaktives Vorgehen Ihrer Branche hier nicht sinnvoller gewesen?

Politiker und Regulatoren arbeiten proaktiv daran, den Nachhaltigkeitsbegriff zu operationalisieren, wie etwa durch die EU-weite grüne Taxonomie und die Offenlegungsregeln SFDR. Zugleich belegen zahlreiche Brancheninitiativen aber, dass die Vermögensverwalter das Thema auch selbst in die Hand nehmen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Initiative Net Zero Asset Manager (NZAM), der Vanguard in diesem Jahr beigetreten ist. NZAM fördert Anlagen, die im Einklang mit dem Ziel stehen, bis zum Jahr 2050 oder früher klimaneutral zu werden.

Uns überrascht, dass alle aktiv verwalteten Fonds, egal ob ESG- oder klassische Produkte, zu annähernd gleichen Preisen angeboten werden. Offenbar werden die höheren Produktionskosten von ESG-Fonds nicht an die Anleger weitergegeben. Was steckt hinter dieser Preispolitik? Nachhaltige Themenfonds sind hingegen teurer als ihre konventionellen Pendants. Wie ist dieser Unterschied zu erklären?

Früher wurden ESG-Produkte mit einer Prämie gegenüber Standardprodukten angeboten. Ein gewisser Preisaufschlag wäre eigentlich gerechtfertigt, weil die Unterhaltung eines ESG-Index ressourcenintensiver ist. Mit der Zeit sind die Preise für ESG-Indexprodukte aber zurückgegangen und vielfach sogar unter die Preise von Standardindizes gesunken. Wir haben beobachtet, dass viele Anbieter das Schlagwort ESG als Köder benutzen, um neue Kunden anzulocken. Deshalb sind diese Preise primär ein Marketing-Trick – genauso wie der neue Trend zu komplett gebührenfreien Produkten.

Was erwarten Sie als nächsten Megatrend in der Vermögensverwaltungsbranche nach dem Thema Nachhaltigkeit?

Ich bin fest überzeugt, dass nachhaltige Anlagen ein Dauerthema bleiben. Die Sichtweise von Öffentlichkeit, Anlegern und Politik auf ökologische, soziale und Governance-bezogene Fragen ist eindeutig im Wandel. Zudem sorgt der EU-Aktionsplan für nachhaltiges Finanzwesen und entsprechende Pläne in der Schweiz dafür, dass nachhaltige Anlagen fest in den Finanzmärkten verankert werden. Ich frage mich eher, wie das Konzept Nachhaltigkeit 2.0 aussehen wird und wie sich das Thema in den nächsten fünf bis fünfzehn Jahren weiterentwickelt.

Hauptbildnachweis: Vanguard