Inflation: Getting Sticky With It

Vor zwölf Monaten war der Begriff «vorübergehend» in aller Munde, und die Überzeugung war gross, dass der Inflationsdruck bald nachlassen würde. Ein Jahr später sind die marktbasierten Inflationserwartungen trotz des anhaltenden Inflationsanstiegs wieder auf den Tiefststand vor der Pandemie zurückgefallen. Werden die Optimisten dieses Mal richtig liegen? Und was bedeutet dies für die Makroökonomie und die Märkte?

Entgegen den Prognosen ist die Verbraucherpreisinflation (VPI) im August nach oben geschossen. In den USA lag der Gesamt-Verbraucherpreisindex mit 8,3% im Jahresvergleich über den Konsenserwartungen, wobei die Preisentwicklung in Bereichen wie Unterkunft (+0,7% im Monatsvergleich) und Gesundheitswesen (+0,8% im Monatsvergleich) besorgniserregend war. Dies bedeutete, dass die Kerninflation – die keine Lebensmittel- und Energiepreise berücksichtigt – von 5,9% auf 6,3% anstieg. Auch die Eurozone leidet darunter: Die Gesamtinflationsrate lag im September bei schätzungsweise 10% gegenüber 9,1% im Vorjahr, und auch die Kerninflation beschleunigte sich mit einem Anstieg von 4,6% im Jahresvergleich.

Die Zahl der Arbeitskräfte wird in den kommenden Jahren schrumpfen, was wahrscheinlich zu einer dauerhaften Zunahme der Verhandlungsmacht von Arbeit gegenüber Kapital führen wird.

Alan Mudie, Chief Investment Officer, Woodman

Trotz dieser negativen Überraschungen haben verschiedene marktbasierte Messgrössen für Inflationserwartungen nach unten überrascht. So lag der zweijährige US-Breakeven – die Differenz zwischen den Renditen festverzinslicher und inflationsgeschützter Staatsanleihen – Ende September bei 1,94%, gegenüber 4,93% im März und dem ersten Schlusskurs unter 2% seit Dezember 2000. Und 5y5y-Inflationsswaps auf Dollar-Basis – Verträge, die die erwartete Fünfjahres-Termininflationsrate in fünf Jahren vorwegnehmen – sind von 2,9% im April auf 2,1% Ende September gesunken. Dieser Optimismus scheint unangebracht zu sein.

Der Grund, warum Ökonomen die Kerninflation betrachten, besteht darin, die volatilsten Komponenten herauszufiltern, um sich auf den zugrunde liegenden Trend zu konzentrieren. Eine weitere Analyse kann die «klebrigen» Elemente – also diejenigen, die sich am langsamsten verändern – von den unbeständigeren trennen. Die Federal Reserve (Fed) von Atlanta berechnet eine klebrige VPI-Reihe, die sich weiter beschleunigt und im August ein 40-Jahres-Hoch erreicht hat. Die Cleveland Fed veröffentlicht ebenfalls detaillierte Inflationsanalysen. Ihr Median- und ihr getrimmter Mittelwert-Index – bei letzterem werden die Ausreisser aus dem monatlichen Durchschnitt entfernt – deuten beide darauf hin, dass sich der Inflationsdruck verfestigt (siehe nachstehende Grafik).

Bildnachweis: Woodman

Darüber hinaus war im August ein breit angelegter Anstieg in lohnempfindlichen Dienstleistungskategorien wie dem Gastgewerbe, der medizinischen Versorgung, dem Bildungswesen und der persönlichen Betreuung zu verzeichnen. Es ist daher keine Überraschung, dass ein weiterer Index der Atlanta Fed, der Lohnindex, im August bei 6,7% lag und damit so schnell wie noch nie zuvor. Dies ist besonders besorgniserregend, denn wenn steigende Preise die Arbeitnehmer dazu veranlassen, höhere Löhne zu fordern, müssen ihre Arbeitgeber oft die Verkaufspreise erhöhen, um die Rentabilität zu erhalten, wodurch ein Teufelskreis in Gang gesetzt wird.

Der jüngste Inflationsanstieg ist auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen. Einige sind vorübergehender Natur. So lassen die durch die Pandemie verursachten Unterbrechungen der weltweiten Lieferketten allmählich nach – die Frachtraten sind erheblich gesunken, und Maersk hat kürzlich bekannt gegeben, dass es nun die Durchschnittsgeschwindigkeit seiner Schiffe verringern kann, um Treibstoffkosten zu sparen. Darüber hinaus kehrt sich der gleichzeitige Anstieg der Geldmenge und der Haushaltsdefizite, mit dem der wirtschaftliche Schmerz der Schliessungen gelindert werden sollte, nun langsam um.

Andere Faktoren sind leider eher struktureller Natur. Unzureichende Investitionen in die Erkundung und Förderung von Kohlenwasserstoffen in Verbindung mit der Tatsache, dass Europa russische Energie meidet, und die massiven Investitionen, die für den Übergang zu nachhaltigeren Energiequellen erforderlich sind, bedeuten höhere Energiepreise in den kommenden Jahrzehnten. Darüber hinaus kehrt sich der Globalisierungstrend, der durch den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001 eingeleitet wurde, langsam um, da die Länder versuchen, die Produktion an einen anderen Ort zu verlagern, und die Unternehmen gezwungen sind, höhere Lagerbestände zu halten – eine Verlagerung von «just in time» zu «just in case». Schliesslich bedeutet die demografische Entwicklung in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften, dass die Zahl der Arbeitskräfte in den kommenden Jahren schrumpfen wird, was wahrscheinlich zu einer dauerhaften Zunahme der Verhandlungsmacht von Arbeit gegenüber Kapital führen wird.

Bottom line
Kurzfristig dürften die jüngsten Rückgänge bei den Energie- und Rohstoffpreisen in Verbindung mit Basiseffekten dafür sorgen, dass die Inflation nach den jüngsten Höchstständen wieder zurückgeht. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass der Verbraucherpreisindex auch nur in die Nähe des Niveaus kommt, das der Breakeven-Wert nahelegt. Längerfristig bedeuten die oben erwähnten strukturellen Faktoren, dass sich Unternehmen und Haushalte an einen anhaltenden Preisdruck gewöhnen müssen. Dies wiederum bedeutet, dass die Zentralbankpolitik wahrscheinlich viel straffer bleiben wird als in den letzten Jahrzehnten.

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