Wenn die Zinssätze unter Druck geraten, werden Staatsschulden richtig teuer
Die Corona-Pandemie hat das Verhalten der Menschen massiv beeinflusst und global für hohe Staatsschulden gesorgt. So ist die Schuldenstandsquote – also der Quotient aus Staatsschulden und BIP – in vielen Ländern so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.
Die Unsicherheit rund um Impfstoffe wird in der nahen Zukunft bestehen bleiben. Sobald diese überwunden ist, dürfte ein Aufschwung in den USA und Europa einsetzen, ähnlich wie wir es bereits in Teilen Asiens gesehen haben. Auch ist davon auszugehen, dass es ein ausserordentlich hohes Wachstum geben wird, sobald die Wirtschaft wieder vollständig geöffnet ist.
Eine der wichtigsten mittelfristigen Fragen im Zusammenhang mit der Pandemie ist, wie lange die Verhaltensänderungen der Menschen anhalten werden: Werden sie beispielsweise wieder Restaurants besuchen und ins Ausland reisen wie vor der Pandemie? Oder werden sie ihr Verhalten längerfristig anpassen? Auf der ganzen Welt gab es deutliche politische Massnahmen gegen die Pandemie und ihre Folgen – beispielsweise in China, Europa und den USA.
Robert Lind, Volkswirt, Capital GroupWenn sich der private Sektor weiterhin wie in den letzten zehn bis zwanzig Jahren zurückhaltend verhält, dürften die Zinsen nicht stark steigen.
In Teilen ähnliche Massnahmen hatte es auch nach der Finanzkrise gegeben. Wie damals auch, müssen diese irgendwann allerdings wieder eingedämmt werden. Mit der steigenden Inflation wird der Druck auf die Zinssätze zunehmen, sodass diese kurzfristig ansteigen könnten. Hier stellt sich die Frage, auf welchem Niveau sich die Zinssätze mittel- bis langfristig einpendeln werden. Die Zentralbanken und deren Reaktion auf die sich ändernden Fundamentaldaten werden dabei der ausschlaggebende Faktor sein.
Wenn sich der private Sektor weiterhin wie in den letzten zehn bis zwanzig Jahren zurückhaltend verhält, dürften die Zinsen nicht stark steigen. Folglich würde es für die Regierungen einfach sein, die Defizite und Schuldenniveaus für eine beträchtliche Zeit zu finanzieren. Herausfordernd wird die Situation, sollten die Zinssätze unter Druck geraten – etwa, weil die Inflation steigt oder die Risikobereitschaft des privaten Sektors zunimmt. Unter diesen Umständen müssten die Regierungen überlegen, ob sie den Weg der finanziellen Repression einschlagen. Robert Lind von der Capital Group geht jedoch davon aus, dass eventuelle Anstiege der Zinssätze und der Inflation relativ moderat ausfallen dürften im Vergleich zu historischen Entwicklungen, die in den 70er und 80er Jahren beobachtet wurden. Folglich dürften die Defizite und Schuldenniveaus nachhaltig sein – zumindest über einen Zeithorizont von drei bis fünf Jahren.
Die Top-Down-Fundamentaldaten für Schwellenländer sind derzeit attraktiv – insbesondere angesichts der erwarteten Dollarschwäche. Ebenso haben sich die umfangreichen fiskalpolitischen Massnahmen Chinas im Jahr 2020 positiv ausgewirkt. Denn diese haben die Rohstoffpreise getrieben, was tendenziell gut für Schwellenländer ist. Trotzdem sollten Investoren zwischen den einzelnen Ländern differenzieren. Es ist wichtig, die so genannten Emerging Markets nicht als eine grosse, homogene Anlageklasse zu betrachten. Einige der Länder haben mehr mit der Pandemie zu kämpfen als andere. Und es gibt manche, die die Virusausbreitung recht gut in den Griff bekommen haben – vor allem in Asien. Diese profitieren von der Wende im Produktionszyklus. Ebenso muss bedacht werden, dass sich die Top-Down-Faktoren auf lange Sicht ändern könnten. Zum Beispiel könnten die Veränderungen in der US-Politik, insbesondere vor dem Hintergrund grosser fiskalischer Stimuli durch die neue Regierung, den Dollarkurs wieder steigen lassen. Auch ist es möglich, dass die Geldpolitik in China in der zweiten Hälfte dieses Jahres straffer wird. Dies würde Druck von den Rohstoffpreisen nehmen.