Urs Wietlisbach: «Sollen wir ernsthaft einen Vertrag unterzeichnen, mit dem wir uns an das EU-Mittelmass annähern?»
Alfred «Fredy» Gantner, Urs Wietlisbach und Marcel Erni haben mit der Partners Group in weniger als 30 Jahren aus dem Nichts einen Milliardenkonzern, der an der Börse mit über 30 Milliarden Franken bewertet wird, geschaffen. Das Unternehmen ist im Leitindex SMI vertreten, der die 20 wertvollsten Unternehmen der Schweiz umfasst. Partners Group ist damit eine der grössten Erfolgsstorys der Schweizer Wirtschaftsgeschichte. Jetzt haben die drei Gründer die «Kompass-Initiative» lanciert, um eine institutionelle Anbindung der Schweiz an die EU mit einem Rahmenvertrag zu verhindern. Wir haben mit Urs Wietlisbach gesprochen und nachgefragt.
Urs Wietlisbach, das Verhandlungspaket der Bilateralen III umfasst unter anderem die Aktualisierung der fünf bestehenden Binnenmarktabkommen Personenfreizügigkeit (FZA), Abbau technischer Handelshemmnisse (MRA), Landverkehr, Luftverkehr sowie Landwirtschaft. Zudem sollen zwei neue Binnenmarktabkommen für Strom und Lebensmittelsicherheit abgeschlossen werden. In den Bereichen Forschung, Bildung und Gesundheit sieht das Paket Kooperationen mit der Europäischen Union (EU) vor. Darüber hinaus ist die Wiederaufnahme des Regulierungsdialogs im Finanzbereich sowie eine Verstetigung des Schweizer Kohäsionsbeitrags geplant. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen das Verhandlungspaket?
Urs Wietlisbach: Wir sind nicht gegen den bilateralen Weg, wir sind für bilaterale Beziehungen zur EU auf Augenhöhe. Aber lassen Sie mich klarstellen: Sie sprechen von Bilateralen III. Das ist nicht korrekt. Denn der in Verhandlung stehende Vertrag sieht eine dynamische Übernahme der Gesetze aus der EU vor. Es geht der EU um eine einseitige institutionelle Anbindung, von Bilateralen III kann keine Rede sein. Das betont die EU übrigens auch immer wieder selbst. Und dagegen wehren wir uns. Schauen Sie sich an, wo die Schweiz heute wirtschaftlich steht und wo die EU-Länder. Egal, ob man das Bruttoinlandsprodukt, die Kaufkraft, Inflation oder Verschuldung anschaut, die Schweiz steht viel besser da. Sollen wir ernsthaft einen Vertrag unterzeichnen, mit dem wir uns an das EU-Mittelmass annähern? Zudem passen die Systeme strukturell nicht zusammen. Die EU ist zentralistisch top-down organisiert. Dagegen steht das föderalistische, basisdemokratische System unseres Landes. Das will die EU leider einfach nicht verstehen, wenn sie versucht uns ihre Gesetze dynamisch aufzudrücken und den EuGH als letzte Instanz zu akzeptieren. Wenn die Schweiz den Rahmenvertrag unterzeichnen würde, würden wir uns kontinuierlich an die EU anpassen. Deshalb fordern wir mit unserer Initiative, dass der Bundesrat Verträge mit so weitreichenden Konsequenzen zwingend Volk und Ständen vorlegen muss. Wir wollen nicht, dass die Schweiz langfristig zu einem Passivmitglied der EU wird.
Urs Wietlisbach, Mitinitiant Kompass-InitiativeDer Vertrag würde stark in die verfassungsrechtliche Ordnung der Schweiz eingreifen. Unsere direktdemokratischen Entscheidungsprozesse geraten damit in Gefahr.
Die Schweizer Wirtschaft stehe mit den Bilateralen III wesentlich besser da als ohne, lässt sich Economiesuisse, notabene der Dachverband der Schweizer Wirtschaft, verlauten. Wie bewerten Sie diese Aussage?
Bitte, sprechen Sie korrekterweise nicht von den Bilateralen III. Es ist einfach ein Rahmenvertrag. Ich kann die Aussage von Economiesuisse nicht nachvollziehen. Der Verband selbst schätzt die jährlichen Kosten ohne Rahmenvertrag für die Schweizer Wirtschaft auf 0,5 Milliarden Franken. Dagegen stehen Kosten, die mit Rahmenvertrag bei den Unternehmen entstehen, von 10 bis 20 Milliarden Franken. Diese sind vor allem der regelrechten Regulierungswut der EU geschuldet. Stellen Sie sich vor: die EU ist viermal jünger als die Schweiz, aber verfügt über viermal mehr Gesetze als wir – ca. 23'000. Allein im letzten Jahr wurden rund 320 Gesetze in der EU erlassen – mehr als eines pro Arbeitstag. Das muss man sich einmal vorstellen!
Wo genau setzen Sie und Ihre Mitstreiter mit der «Kompass-Initiative» an? Welches sind Ihre Kern-Argumente?
Die Tragweite der dynamischen Rechtsübernahme sowie des Schiedsgerichtsverfahrens unter Einbezug des Europäischen Gerichtshofs ist riesig: Der Vertrag würde stark in die verfassungsrechtliche Ordnung der Schweiz eingreifen. Unsere direktdemokratischen Entscheidungsprozesse geraten damit in Gefahr. Stellen Sie sich vor, es gibt ein Referendum zu einem EU-Gesetz. Im Abstimmungsbüchlein des Bundesrats steht dann «Eine Ablehnung des Gesetzes zieht eine Strafe unbekannter Art und Höhe seitens der EU nach sich». Mit diesem Wissen kann doch niemand mehr frei seine Stimme abgeben. Deshalb ist für uns ganz klar, dass es für solch weitreichende Fragen die Mehrheit von Volk und Ständen braucht.
Die Schweizer Finanzindustrie scheint sich mit Ihrer Initiative schwer zu tun. Worauf führen Sie diese Zurückhaltung zurück?
Ich spüre einen grossen Rückhalt, ob aus der breiten Bevölkerung oder aus der Finanzindustrie. Einfach von allen, denen die direkte Demokratie wichtig ist. Inzwischen haben wir bei Kompass/Europa mehr als 3'300 Mitglieder – das sind meist Unternehmer, aber auch besorgte Bürgerinnen und Bürger, Kunstschaffende, Sportler, … . Es sind vor allem die Grosskonzerne, die den Rahmenvertrag unbedingt durchsetzen möchten. Aber wer steht dort an der Spitze – es sind meist keine Schweizer, die mit der direkten Demokratie und unserem föderalistischen System grossgeworden sind. Sie kennen die DNA der Schweiz nicht gut genug, um die Tragweite eines solchen Vertrages für unser Land abzuschätzen. Ich bin aber zuversichtlich, je mehr und je länger sich die Unternehmer und Bürgerinnen und Bürger mit dem Thema auseinandersetzen, umso mehr Unterstützung wird die Kompass-Initiative haben. Denn die Fakten sind eindeutig und sprechen für sich.
Abschlussfrage: Was treibt Sie persönlich an, sich politisch zu exponieren?
Ich bin kein politischer Mensch. Ich gehöre keiner Partei an. Aber als ich vor 4 Jahren den Rahmenvertrag 1.0 gelesen habe, war sofort klar: Wir müssen handeln. Dieser Vertrag schadet der Schweiz als Wirtschaftsstandort und setzt den Wohlstand unserer Gesellschaft aufs Spiel. So haben wir die Allianz Kompass/Europa gegründet und den ersten Vertrag erfolgreich gebodigt. Der nun in Verhandlung stehende Rahmenvertrag 2.0 hat ein paar Verbesserungen mit sich gebracht. Aber die Kernprobleme – dynamische Rechtsübernahme und der EuGH als letzte Instanz im Streitfall – bestehen weiterhin. Deshalb sammeln wir nun Unterschriften für die Kompass-Initiative, um diesen unsäglichen Vertrag erneut zu verhindern.