Im Nebel liegt die Macht: Die SNB und der Nutzen des Nichtwissens

Ein «Mehr» an Transparenz klingt unbedenklich. Transparenz schafft Vertrauen, macht Prozesse und Entscheidungen nachvollziehbar und kann die Effizienz der Zielerreichung erhöhen. Doch Transparenz ist keine Einbahnstrasse. Es gibt Grenzen – oder anders gesagt: Ein «Zuviel» kann auch schaden.

Mit dieser Frage sieht sich gegenwärtig die Schweizerische Nationalbank (SNB) konfrontiert. Der Zeitgeist verlangt mehr Offenheit – auch von jener Institution, die seit jeher als verschwiegen gilt. Besonders gross ist das Interesse an den internen Diskussionen, die zum Entscheid für oder wider eine Leitzinsänderung führen. Andere Notenbanken sind hier längst weiter: Die US-Zentralbank (Fed) veröffentlicht Sitzungsprotokolle seit 1993, die Bank of England seit 1999 und die Europäische Zentralbank folgte 2015.

Wortreich schweigen
Die SNB hat bislang ein Geheimnis daraus gemacht, wie ihre Beschlüsse zustande kommen. Selbst an den Medienkonferenzen zur geldpolitischen Lagebeurteilung sind der Nationalbank nur begrenzt Informationen zu entlocken. Die Mediengespräche der Nationalbank grenzen bisweilen an Komik, wenn deren Vertreter aufbohrende Fragen der Journalisten – etwa zur Wahrscheinlichkeit künftiger Zinsschritte – ausgesprochen wortreich nichts sagen. Sie wiederholen in allen Varianten bereits Bekanntes und lassen nur hin und wieder einen Funken Zusatzinformation aufblitzen – was die Journalisten allerdings nicht davon abhält, Konferenz für Konferenz wieder dieselben Fragen zu stellen. Das Schauspiel gleicht einem Ritual.

Kaum eine andere Zentralbank hat in den letzten Jahren Märkte und Finanzanalysten häufiger überrascht als die SNB.

Fredy Hasenmaile, Raiffeisen-Chefökonom

Im Oktober hat die SNB nun in einem Papier erstmals Einblick gegeben in die jüngsten Zinsdiskussionen. Das Protokoll wurde allerdings mit Enttäuschung aufgenommen, insbesondere von den Medien, die natürlich von kontroversen Inhalten, abweichenden Meinungen und Unstimmigkeiten leben, und für die es daher auch kein Zuviel an Informationen geben kann. Der Erkenntnisgewinn aus dem veröffentlichten «Protokoll» ist in der Tat bescheiden. Es war jedoch zu erwarten, dass die SNB ihrer Natur treu bleibt und nicht allzu viel preisgibt.

Vom Nutzen der Geheimhaltung
Doch vielleicht ist das auch richtig so. Einer Zentralbank wie der SNB, deren Glaubwürdigkeit ausserordentlich hoch ist und deren Entscheidungen in der Bevölkerung grosses Vertrauen geniessen, kann eine höhere Transparenz eigentlich nur schaden. Je mehr Details publik werden, desto intensiver und kontroverser werden die Diskussionen um die Zentralbankentscheide ausfallen, was das Vertrauen eher beschädigt als fördert. Ein Blick in die USA zeigt, wohin übertriebene Offenheit führen kann: Dort, wo die Fed die detailliertesten Protokolle veröffentlicht, treiben Finanzmärkte und Wall Street die Notenbank mit ihren Kommentaren zu den offengelegten Entscheidungen bisweilen vor sich her. Unverhohlen werden Leitzinssenkungen verlangt und entsprechende Erwartungen aggressiv eingepreist – und ein blosses Stillhalten kann bereits Turbulenzen auslösen. Auch wenn sich die Fed-Verantwortlichen bisher relativ resilient und unabhängig gezeigt haben, ist der Einfluss der Finanzmärkte, die ein starkes Interesse an niedrigeren Zinsen haben, doch indirekt spürbar. In der Schweiz ist eher das Gegenteil der Fall. Die SNB kommuniziert sparsam und steuert die Markterwartungen nur zurückhaltend. Kaum eine andere Zentralbank hat in den letzten Jahren Märkte und Finanzanalysten häufiger überrascht als die SNB. Im Nachhinein haben sich die unerwarteten Entscheide der SNB aber als richtig herausgestellt. Entsprechend gross ist der Respekt und das Vertrauen, das die Nationalbank geniesst.

Etwas Mystik darf bleiben
Aufgrund seines Leistungsausweises vertraut die Bevölkerung den Entscheidungen des Nationalbankdirektoriums, ohne diese im Detail zu verstehen. Das erleichtert der SNB die Arbeit, denn die Transmission der Geldpolitik erfolgt effektiver, wenn das Vertrauen in die Zentralbank gross ist. Dann sind die Inflationserwartungen fest verankert und auch schmerzhafte Massnahmen stossen auf Akzeptanz, was deren Umsetzung beschleunigt. Was nützt es also, die Entscheidungen der SNB im Detail zu kennen? Möglicherweise zu lernen, dass die eine oder andere Entscheidung auch etwas umstritten war, um nicht zu sagen glücklich. Zu erfahren, dass die SNB auch nur mit Wasser kocht? Oder, dass selbst zum Höhepunkt der Finanzkrise 2008 amerikanische Notenbanker noch Witze machten, wie aus den Fed-Protokollen hervorgeht? Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Fed-Gouverneur Frederic Mishkin hat es treffend formuliert: Transparenz darf nicht zum Selbstzweck verkommen, sondern muss einem klaren Ziel dienen. Dieses ist im Falle der SNB nicht ausreichend klar. Lassen wir der Nationalbank einen Hauch von Mystik. Es erleichtert ihr die Aufgabe und kommt letztlich dem ganzen Land zugute.

Hauptbildnachweis: SNB