Die öffentliche Hand schafft Anreize für die Dekarbonisierung der Industrie

Nach den neuesten Daten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist die Industrie für rund 24% der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Für zwei Drittel dieser Emissionen sind vier Sektoren verantwortlich, die der Schwerindustrie zugerechnet werden können: Zement, Petrochemie, Stahl und Aluminium. Auch wenn der Weg zu einem Netto-Null-Emissionspfad komplex ist, ist die Verdreifachung der Investitionen in die Dekarbonisierung der Industrie in den letzten fünf Jahren (48,6 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023) doch sehr ermutigend. Von den genutzten Technologien bis hin zu den schrittweise eingeführten Fördermassnahmen birgt die Dekarbonisierung der Industrie ein Wachstums- und Innovationspotenzial, das Mehrwert schafft.

Bisher hat die Schwerindustrie auf zwei Hebel gesetzt, um ihre Treibhaugasemissionen zu reduzieren: die Verwendung recycelter Rohstoffe (Metalle, Kunststoffe) und den Zukauf sauberer Energie. Hinter der Beschleunigung der Investitionen in den letzten Jahren stehen jedoch vor allem Projekte mit Fokus auf zwei Technologien, die bis 2030 im Mittelpunkt der Produktionsprozesse stehen dürften: kohlenstoffarmer Wasserstoff und Kohlenstoffabscheidung.

  • Die jährliche Produktion von kohlenstoffarmem Wasserstoff, die aktuell mit einer Kapazität von 0,5 Millionen Tonnen noch marginal ist, könnte bis 2030 um den Faktor 30 auf 15 Millionen Tonnen steigen. Mehr als die Hälfte der angekündigten Projekte betreffen «grünen» Wasserstoff, der durch Elektrolyse von Wasser aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wird. «Blauer» Wasserstoff, der aus Erdgas mit Kohlenstoffabscheidung gewonnen wird, bleibt kurzfristig wirtschaftlich am attraktivsten und erfreut sich einer starken Nachfrage aus den USA und Asien. Heute sind die Petrochemie (17% der Nachfrage) und die Raffinerien (19% der Nachfrage) die wichtigsten Wachstumsmotoren für kohlenstoffarmen Wasserstoff, während mehrere für 2023 angekündigte Projekte auch den Stahlsektor betreffen.
  • Die weltweiten Investitionen in die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung haben sich 2023 zum zweiten Mal in Folge fast verdoppelt und einen Rekordwert von 11,3 Milliarden US-Dollar erreicht. Während die «flüssige» Abscheidung (basierend auf chemischen Schleifen, die die abgeschiedene Luft mit einer wässrigen basischen Lösung wie Kaliumhydroxid in Kontakt bringen, die das CO2 entfernt) bleiben dürfte, scheint die «feste» Abscheidung (basierend auf festen Sorbenzien) insbesondere im Zementsektor vielversprechend zu sein. Ausgehend von den angekündigten Projekten ist zu erwarten, dass die Wasserstoff- und Stromerzeugung bis 2030 den Markt für CO2-Abscheidung dominieren wird (36% der angekündigten Kapazitäten), aber die Zementhersteller bauen ihre Kapazitäten weiterhin zügig aus. So sollen fast 28 Millionen Tonnen CO2-Abscheidung pro Jahr in Betrieb genommen werden.

In den USA hat das US-Energieministerium (DOE) im März 2024 Zuschüsse in Höhe von insgesamt 6 Milliarden US-Dollar an 33 Dekarbonisierungsprojekte in verschiedenen Sektoren, darunter Zement, Stahl, Petrochemie, Aluminium und Glas, gewährt.

Nicolas Jacob, Portfolio Manager, ODDO BHF

Mit staatlichen Anreizen gelingt die Transformation
Angesichts der Herausforderung, die es für die Dekarbonisierung der Industrie zu bewältigen gilt (24% der weltweiten Treibhausgasemissionen), hat sich die öffentliche Hand in den letzten Jahren dieses Themas angenommen und erste Anreize geschaffen. Während die staatlich gelenkte Förderung in diesen Bereich in China und Indien noch in den Kinderschuhen steckt, sind die staatlichen Fördermassnahmen in den grossen Industrieländern, insbesondere in den USA und Deutschland, schon deutlich weiter ausgebaut.

  • In den USA hat das US-Energieministerium (DOE) im März 2024 Zuschüsse in Höhe von insgesamt 6 Milliarden US-Dollar an 33 Dekarbonisierungsprojekte in verschiedenen Sektoren, darunter Zement, Stahl, Petrochemie, Aluminium und Glas, gewährt. Diese finanzielle Unterstützung erfolgt im Rahmen der grossen Programme zur Infrastrukturentwicklung (Bipartisan Infrastructure Law) und des Inflation Reduction Act und eröffnet den Projektträgern somit die Möglichkeit, von Steuergutschriften zu profitieren. Die Hauptbegünstigten sind die Zement- und Stahlindustrie für Projekte im Zusammenhang mit kohlenstoffarmem Wasserstoff und Kohlenstoffabscheidung.
  • In Deutschland hat die Regierung im Rahmen eines neuen Programms mit dem Namen «Carbon Contracts for Difference» Anfang 2024 eine erste Auktionsrunde für Dekarbonisierungsprojekte in der Chemie-, Stahl- und Zementindustrie gestartet. Unternehmen, die sich an der Auktion beteiligen, sollen einen Kohlenstoffpreis erhalten, der es ihnen ermöglicht, Technologien zur Emissionsminderung kosteneffizient einzusetzen, wobei der Staat für die Differenz zum Preis aus dem EU-Emissionshandelssystem aufkommt. Der Finanzrahmen für diese erste Auktion beträgt 4 Milliarden Euro und umfasst derzeit keine Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -sequestrierung.
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