Schweizer M&A-Universum hellt sich auf
In den kommenden sechs bis zwölf Monaten dürfte das Transaktionsvolumen auf dem Schweizer M&A-Markt wieder anziehen. Die Unternehmen sind zuversichtlicher, dass sich die Konjunktur erholen wird als noch im Frühling.
Nach dem drastischen Einbruch des Oaklins M&A-Index im ersten Halbjahr 2020 erwarten die rund hundert befragten M&A-Experten und Entscheidungsträger der Schweizer Wirtschaft in den kommenden sechs bis zwölf Monaten wieder mehr M&A-Transaktionen mit Beteiligung von Schweizer Unternehmen. Über alle drei Indikatoren (Zuversicht, Fokus, Finanzierung) hinweg kann ein Zuwachs beobachtet werden (siehe Grafik 1).
Mit der Aussicht auf einen COVID-19-Impfstoff und dank des Einbezugs von wirtschaftlichen Interessen bei der Eindämmung der Pandemie beurteilen die Befragten das M&A-Umfeld wieder positiver. Auch Martin Naville, CEO der Swiss-American Chamber of Commerce, ist optimistisch: «2021 wird ein grosses Aufholbedürfnis der Wirtschaft vorhanden sein und ich erwarte ein gutes Umfeld für M&A.» Zudem bleiben Zukäufe und Zusammenschlüsse wichtige Instrumente zur Strategieumsetzung. Das Finanzierungsumfeld ist zwar nach wie vor anspruchsvoller als noch vor dem Ausbruch der Pandemie, doch die Abnahme der zur Verfügung stehenden Mittel wird nur von einzelnen Unternehmen als ausschlaggebend für die M&A-Aktivität gesehen. In den kommenden sechs Monaten dürfte der Transaktionsmarkt in der Schweiz wieder anziehen.
Dr. Jürg Stucker, Studienautor, Partner Oaklins SchweizChancen in Krisenzeiten wahrzunehmen, erfordert einerseits mehr Mut als in Boom-Phasen und andererseits finanziellen Spielraum, der in Krisen oft weniger vorhanden ist.
Wer risikofähig ist und über die notwendige finanzielle Feuerkraft verfügt, kann von spannenden Möglichkeiten auf dem M&A-Markt profitieren. Corinne Ruckstuhl, Deputy CEO der INTEGRA Holding beobachtet diese Entwicklung bereits: «Seit dem Sommer sehen wir, dass der Dealflow deutlich ansteigt. Jetzt in der zweiten Jahreshälfte erhalten wir wieder regelmässig Opportunitäten zur Prüfung.» Mit der Finanzkrise von 2008/2009 verglichen hatte die Pandemie 2020 mindestens kurzfristig einen einschneidenderen Einfluss auf den Schweizer M&A-Markt. Hochgerechnet dürfte das Transaktionsvolumen gegenüber dem Vorjahr um rund 33% zurückgehen – Ende der Nullerjahre waren es für die Schweiz lediglich rund 10% (siehe Grafik 2).
Zwischen den einzelnen Branchen zeigen sich jedoch grosse Unterschiede: Während der Dealflow in den Sektoren E-Commerce, Nahrung, ICT und Financial Services beinahe unverändert weiterläuft, ist der Rückgang in anderen Bereichen wie Maschinenbau oder Luftfahrt markant. So dürfte die schnelle politische Reaktion auf die Corona-Krise zumindest kurzfristig die Konjunktur stabilisieren. Es ist zu erwarten, dass es zu einem deutlichen Anstieg des Transaktionsvolumens kommt, sobald die Zuversicht weiter steigt und sich die Planbarkeit verbessert. Das legt sowohl der Blick auf die sinkenden Bewertungen der Übernahmekandidaten wie auch die Tatsache, dass Transaktionen in den letzten Monaten aufgeschoben wurden, nahe. Entsprechend erwarten aktuell 23% der Befragten in den nächsten zwölf Monaten eine eher hohe bis hohe M&A-Tätigkeit.
Unternehmen blicken wieder zuversichtlicher auf Konjunkturentwicklung
Gingen im Juli nur 14% der Befragten von einer durchschnittlichen bis guten Konjunkturentwicklung aus, sind es Ende 2020 immerhin 34%. Diese Steigerung der Zuversicht ist eine Folge der Erfahrung, die Unternehmen in den vergangenen Monaten im Umgang mit der Pandemie sammelten. Zudem hat das Ausbleiben der schlimmsten Befürchtungen die Unsicherheit und Angst gelindert. Prof. Dr. Klaus W. Wellershoff von Wellershoff & Partners AG konstatiert jedoch, dass die Konjunktur in den Winterquartalen schwächer sein dürfte, als dies viele Beobachter erwarteten. «Im neuen Jahr wird erschwerend hinzukommen, dass die coronabedingten Covenant Holidays auslaufen werden. Da trennt sich schnell einmal die Spreu vom Weizen», fügt er hinzu. Auch Matthias Bellwald, Head Merger & Acquisitions bei der Sika AG, erwartet, dass das gesamtwirtschaftliche Umfeld fragil bleiben dürfte.
Sich bietende Möglichkeiten als wichtige M&A-Treiber
Zeichnete sich im Juli noch eine Verschiebung der strategischen Prioritäten weg von M&A ab, ziehen nun 59% der Befragten in Betracht, im kommenden Jahr eine Akquisition zu tätigen. Das Ausnutzen von Synergiepotenzialen und das Gewinnen von Marktanteilen spielt dabei die Hauptrolle. Rund 60% der Befragten nennen eine sich bietende Möglichkeit als Grund für Übernahmen – ein Rekordwert. Als Folge der Pandemie haben sich die konjunkturellen Unsicherheiten vergrössert und das Vertrauen in weltweite Lieferketten ist gesunken. Hinzu kommt die Sorge um Handelskonflikte. Das betont auch Martin Naville. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass Schweizer Unternehmen immer weniger ausserhalb des schweizerischen (29%), deutschen (25%) und europäischen (26%) Marktes akquirieren wollen. Die Rückorientierung auf lokale Wirtschaftsräume geht insbesondere zulasten Asiens. Nur noch 3% der Befragten fassen dort eine Übernahme ins Auge.
Finanzlage hat sich im zweiten Halbjahr teilweise erholt
Die Corona-Krise hat die Verfügbarkeit von Fremdkapital geschmälert. Trotzdem sind 58% der Ansicht, dass nach wie vor eher viel oder viel Fremdkapital vorhanden ist – das ist eine markante Verbesserung der Situation gegenüber der Befragung im Frühjahr (35%). Auch bei den liquiden Mitteln zeigt sich ein ähnliches Bild: 42% beurteilen deren Verfügbarkeit als eher hoch oder hoch – das entspricht einem Plus von 10 Prozentpunkten gegenüber Juli. Dennoch liegt der Wert unter dem langjährigen Durchschnitt. Bernhard Leiser und Vincent Studer, beide Partner bei der T+R AG, erläutern: «Die Liquidität konnte in den letzten Jahren dank gutem Geschäftsgang gestärkt werden. Durch die mit den häufig beanspruchten COVID-19-Krediten verbundenen Verwendungsrestriktionen sind den Unternehmen jedoch bezüglich Investitionen die Hände gebunden.»
Und 51% der Befragten erwarten, dass M&A-Transaktionen dank sinkender Multiples erschwinglicher sein werden. Dieser generelle Trend gelte jedoch nicht für alle Branchen, wie Martin Lorenz, CEO und CFO der Competec-Gruppe betont: «Im E-Commerce sehen wir deutlich steigende Preis-Multiples. Das überrascht angesichts der Pandemiesituation nicht, droht aber ungesunde Ausmasse anzunehmen.» Die erwartete Preisentwicklung lässt gut aufgestellte Unternehmen die Verkaufsabsichten überdenken. Kleine und mittlere Unternehmen mit finanziellen Schwierigkeiten würden im Verkauf jedoch die Lösung für die Zukunft sehen, meint Andreas Schraner, Managing Director von Antalis. 22% der Befragten ziehen einen Verkauf des Unternehmens oder zumindest eines Teilbereichs in den nächsten zwölf Monaten in Betracht. Nach einem Einbruch im Juli liegt dieser Wert wieder beinahe auf dem langjährigen Durchschnitt.
Der komplette «M&A Outlook Schweiz» findet sich hier.