Soll ich jetzt Aktien kaufen?

Mit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine hat sich der bereits seit Anfang Jahr herrschende Abwärtsdruck an den Aktienmärkten verschärft. Der Swiss Performance Index hat noch einmal 10% eingebüsst.

Mittlerweile hat er sich wieder vom Tief am letzten Dienstag gelöst und rund die Hälft des Verlustes wettgemacht. Die Aktienmärkte der stärker von russischen Energielieferungen abhängigen Länder Europas haben noch stärker reagiert. Der deutsche DAX verlor nach Kriegsbeginn 17%, bevor auch er einen Teil wieder wettmachen konnte. Bisher haben die Aktienmärkte das klassische Verhalten für solche Stresssituationen an den Tag gelegt. Das Ausmass der Verluste hielt sich im Rahmen, den man auch in der Vergangenheit beobachten konnten. Klassisch wäre, dass die Aktienkurse bei einer Beruhigung der Lage rasch wieder das Niveau von vor der Krise erreichen. Daher stellt sich die Frage: Soll ich jetzt Aktien kaufen?

Die Firmen und Konsumenten passen sich an die neuen Rahmenbedingungen an, was den negativen Beitrag für das Wachstum mindert. Das spricht für Anlagen in Aktien.

Thomas Stucki, Chief Investment Officer, St.Galler Kantonalbank

Mittel- und langfristig ist die Entwicklung der Weltwirtschaft der stärkste Treiber der Aktienbörsen. Wie stark die negativen Auswirkungen der Sanktionen auf die Wirtschaft der westlichen Länder sein werden, lässt sich heute kaum abschätzen. Die Erfahrung zeigt aber, dass sie meistens überschätzt werden. Die Firmen und Konsumenten passen sich an die neuen Rahmenbedingungen an, was den negativen Beitrag für das Wachstum mindert. Das spricht für Anlagen in Aktien.

Volatile Rohstoffe
Kurzfristig werden die Finanzmärkte von der Entwicklung der Rohstoffpreise, insbesondere derjenigen für Erdöl und Erdgas getrieben. Diese hängen stark von Entscheidungen einzelner Personen oder Regierungen ab. Starke Ausschläge in die eine oder andere Richtung sind deshalb jederzeit möglich. Wann und in welche Richtung sie stattfinden, ist dabei unsicher. Das spricht gegen Aktienkäufe zum jetzigen Zeitpunkt. Die Erholung der Aktienkurse in den letzten Tagen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Finanzmärkte noch nicht gefestigt sind. Die grossen Aufwärts- und Abwärtsbewegungen innert kurzer Zeit sind ein Hinweis darauf, dass sich momentan vor allem sehr kurzfristig orientierte Investoren und quantitative Handelsmodelle im Aktienmarkt tummeln, während die langfristig orientierten und damit stabileren Anlegerinnen und Anleger an der Seitenlinie sitzen. Solange das der Fall ist, können auch grössere Kurseinbussen jederzeit wieder auftreten. Wichtig wäre es, dass sich die Kurse während mehrerer Tage nacheinander nur wenig bewegen.

Abwarten
Anlegerinnen und Anleger, die trotz der Unsicherheit an ihrer Anlagestrategie festgehalten und ihre Aktien nicht verkauft haben, können weiterhin beobachten, was sich an der Börse tut. Opportunistisch können sie in Aktien, die überdurchschnittlich stark gelitten haben, einzelne Zukäufe tätigen. Anlegerinnen und Anleger, die aus Sorge um ihr Vermögen in den letzten Wochen Aktien verkauft haben, sollten mit einem Wiedereinstieg noch zuwarten. Die Gründe für ihre Besorgnis sind immer noch da. Der Krieg in der Ukraine ist nicht zu Ende und eine Ausweitung der Sanktionen ist möglich. Jetzt zu kaufen, um dann bei neuerlichen Turbulenzen wieder zu verkaufen, ist die falsche Vorgehensweise. Sie warten besser, bis sich die Lage transparenter abschätzen lässt als heute und nehmen in Kauf, einen Teil der Erholung an den Aktienmärkten zu verpassen.

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