Inflationszahlen: Schlechter als gewünscht, besser als befürchtet

In den USA wurde letzte Woche der Reigen der Inflationszahlen für den Juli abgeschlossen. Die Schweiz hat die Zahlen für den Juli schon früher veröffentlicht. Die Inflationsdaten bieten momentan allen etwas. Diejenigen, die das Ende der Inflationsphase prognostizieren, fühlen sich durch die gesunkenen Inflationsraten bestätigt. Diese sind deutlich tiefer als noch Anfang Jahr, auch wenn in den USA die Inflationsrate wie erwartet wieder etwas angestiegen ist.

Diejenigen, für die die Inflation ein Dauerproblem ist, verweisen auf die Kernraten, die mit Ausnahme der Schweiz noch weit über dem Ziel der Zentralbanken von 2% sind. Beide Lager haben recht, aber auch nicht. Die ausgewiesenen Inflationsraten sind zu tief und widerspiegeln den aktuellen Inflationsdruck nicht korrekt. Sie sind das Ergebnis von im Vergleich zum letzten Jahr stark gesunkenen Energiepreisen und vom Wegfall der starken Preiserhöhungen nach Corona, klassischer Basiseffekt also.

Die ausgewiesenen Inflationsraten sind zu tief und widerspiegeln den aktuellen Inflationsdruck nicht korrekt.

Thomas Stucki, Chief Investment Officer, St.Galler Kantonalbank

Die Kerninflation ohne die Energie- und Nahrungsmittelpreise wird vor allem durch das Preisgeschehen bei den Dienstleistungen getrieben. Dieses ist rege, aber das Momentum hat auch bei den Kernraten gedreht. Sie steigen nicht mehr weiter an, sondern sinken langsam ab. Es ist zu früh, um Entwarnung zu geben, aber Horrorszenarien à la 1970er-Jahre sind auch fehl am Platz.

Hartnäckige Binnenteuerung
Das aktuelle Inflationsumfeld zeigt sich exemplarisch in der Schweiz. Die Preise für Importgüter, bei welchen die Rohstoffpreise eine wichtige Rolle spielen, sind im Juli im Jahresvergleich um 0.6% gefallen. Vor einem Jahr wiesen sie ein Plus von mehr als 8% auf. Die Binnenteuerung betrug dagegen im Juli 2.3%. In den letzten Jahren pendelte diese jeweils um 0.5% herum. Die Unternehmen in der Schweiz geben die höheren Kosten weiter oder versuchen, ihre Margen auszubauen. Das gelingt ihnen recht gut, insbesondere im Detailhandel und im Gastgewerbe. Die Preiserhöhungen werden von den Kundinnen und Kunden akzeptiert und als «normal» angenommen. Da ist der Schritt zu Lohnforderungen im Namen der Inflation nicht weit. Das ist ein Umstand, der der SNB nicht gefallen wird, und der dazu führt, dass die Inflation hartnäckig ist.

Ich erwarte, dass die Inflationsrate in der Schweiz aufgrund der erwähnten Sonderfaktoren vorübergehend auf über 2% steigt und im nächsten Jahr auf 1.5% sinken wird.

Thomas Stucki

Es gibt aber auch positive Tendenzen. In der Industrie und im Grosshandel nimmt die Erwartung der Firmen bezüglich Preiserhöhungen deutlich ab, respektive höhere Preise können nicht mehr durchgesetzt werden. Diese Sektoren spüren die konjunkturelle Abschwächung bereits recht stark. Der Mangel an Arbeitskräften ist nach wie vor ein Thema, aber eine gewisse Entspannung ist angesichts der verbreiteten Warnungen vor einer Rezession erkennbar. Die Unternehmen sind vorsichtiger geworden bei der Einstellung neuer Arbeitskräfte. Das wird die Lohndiskussion entspannen.

Allgemeiner Inflationsdruck nimmt ab
Die Inflationsrate wird in der Schweiz in der nächsten Zeit von Sonderfaktoren geprägt sein. Ich denke da an die Erhöhungen der Wohnungsmieten als Folge des Anstiegs des BWO-Referenzzinssatzes oder an die bereits bekannten Strompreisanpassungen Anfang 2024. Der allgemeine Inflationsdruck wird im Zuge der weiteren Abkühlung der Konjunktur aber abnehmen und mit der Zeit auch die konsumnahmen Sektoren erreichen. Ich erwarte, dass die Inflationsrate in der Schweiz aufgrund der erwähnten Sonderfaktoren vorübergehend auf über 2% steigt und im nächsten Jahr auf 1.5% sinken wird. Das bedeutet für die SNB, dass sie nach der letzten Zinserhöhung im September auf 2.00% im nächsten Jahr ruhig beobachten kann, wie sich die Inflation und die Konjunktur weiterentwickeln wird.