Peter V. Kunz: «Die CS tanzte der FINMA auf der Nase herum.»

Der Niedergang der Credit Suisse dürfte als der schwärzeste Tag in der Geschichte des Schweizer Finanzplatzes eingehen. Er steht auch als Sinnbild für eine Manager-Gilde, die aufgrund ihres eigenen Unvermögens gesellschaftlich tief gefallen ist. Juristisch bleibt das komplette Versagen der Konzernleitung und des Verwaltungsrates hingegen ungesühnt. Wir haben beim geschäftsführenden Direktor am Institut für Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Bern, Peter V. Kunz, nachgefragt, warum das so ist.

Peter V. Kunz, der Niedergang der Credit Suisse ist in seiner Tragweite in der europäischen Finanzwelt wohl einzigartig. Muss dem Top-Management der einstigen Nummer 2 auf dem Schweizer Bankenplatz nicht eine grobe Pflichtverletzung attestiert werden?

Peter V. Kunz: Sie kennen sicherlich das Sprichwort: «Der Fisch stinkt vom Kopf her». Das war wohl auch hier der Fall. Das Top-Management, also insbesondere die Konzernleitung und der Verwaltungsrat der CS, haben nicht einen einzigen riesigen, sondern über Jahre sehr viele grosse Fehler gemacht, was sich anhand der jüngeren Skandale erkennen lässt, die jedermann kennt: Steuerprobleme USA, «Archegos», «Greensill», «Mosambik», Bespitzelungsaffäre, um nur einige zu nennen. Schlussendlich haben ganz offensichtlich mehrere Top-Managements über lange Zeit und in verschiedenen Ländern eine Risikokultur geschaffen oder zumindest nicht korrigiert, die zum Untergang der CS führte, ja sogar führen musste. Im Übrigen erscheint es mir offensichtlich, dass über diese Zeit hinweg die Compliance-Abteilungen der CS schwer versagt haben. Die Gründe liegen im Dunkeln.

Wie erklären Sie sich, dass die Justiz untätig geblieben ist und die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden?

Für mich etwas überraschend ist in erster Linie, dass die zentrale Aufsichtsbehörde über die Banken, also die FINMA, entweder nicht oder nicht wirksam bei der CS interveniert hat. Zeichen dafür, dass etwas in die falsche Richtung läuft, gab es ja schon lange. Der Untergang der CS im Jahr 2023 ist jedoch als solcher nicht strafbar. Die Strafverfolgungsbehörden konnten und können folglich nicht ohne weiteres aktiv werden. Zudem sehen wir in anderen Fällen, dass Strafverfahren, Stichworte sind «Vincenz» oder «Fifa», zeitraubend und komplex sind, ohne grosse Erfolgsaussichten. Ich vermute, dass wir die Justiz in Zivilverfahren im Einsatz sehen werden, wenn sich nämlich geschädigte Gläubiger, insbesondere die AT1-Bondholder und allenfalls auch Aktionäre, gerichtlich zur Wehr setzen werden.

Der Untergang der CS im Jahr 2023 ist als solcher nicht strafbar. Die Strafverfolgungsbehörden konnten und können folglich nicht ohne weiteres aktiv werden.

Peter V. Kunz, Direktor am Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Bern

Die einstigen Aktionäre der Credit Suisse wurde über Notrecht de facto enteignet– wie beurteilen Sie diesen Vorgang im Rückblick?

Am Tag nach der ominösen Pressekonferenz mit Bundesrätin Keller-Suter am 19. März 2023 gab ich im Tagesanzeiger ein Interview mit der Aussage: «Der Bundesrat enteignet die Aktionäre ohne Rechtsgrundlage». Meine damalige juristische Meinung habe ich nicht geändert, auch wenn ich dafür stark kritisiert wurde. Ich bin überrascht, dass sich die Grossaktionäre aus dem arabischen Raum offensichtlich nicht gerichtlich zur Wehr gesetzt haben, was ihre finanziellen Ansprüche betrifft. Fast noch spannender ist jedoch die weitere Frage, ob die FINMA die AT1-Bonds der CS in Höhe von 17 Milliarden Franken tatsächlich auf Null stellen durfte. Die gerichtliche Antwort zu dieser Rechtsfrage könnte sehr teuer werden, und zwar für die UBS und allenfalls sogar für die Schweiz.

Die Schweizer Aufsichtsbehörde (FINMA) wurde im Zuge der Aufarbeitung des CS-Debakels teilweise heftig kritisiert. Zu Recht?

Dazu gibt es von mir eine klare Antwort: Jein! Tatsächlich bin ich der Meinung, dass die FINMA allzu zurückhaltend interveniert hat, fast schon etwas eingeschüchtert. Die CS tanzte der FINMA auf der Nase herum. Vor diesem Hintergrund muss erstaunen, dass die PUK der FINMA ein im Grossen und Ganzen sehr gutes Zeugnis ausgestellt hat. Da wäre ich wesentlich kritischer. Ehrlicherweise muss aber auch gesagt werden, dass die FINMA nicht viel mehr hätte tun können. Die Politik hat die FINMA nämlich nach ihrer Gründung ganz bewusst klein und fast schon bescheiden gehalten, beispielsweise bei den Ressourcen und den Eingriffsmöglichkeiten. Die etwas naive Idee der Finanzpolitiker und des Finanzplatzes war: «Man soll nicht intervenieren und gar sanktionieren, sondern miteinander reden». Doch die FINMA-Vertreter, oftmals junge Studienabgänger mit wenig Praxiserfahrung, waren schlicht nie auf Augenhöhe mit den CS-Leuten. Deshalb bin ich, übrigens schon seit 2008, der Meinung, dass es bei der FINMA strukturelle, personelle und finanzielle Änderungen braucht.

Welche Lehren sollte der Schweizer Finanzplatz aus dem CS-Debakel Ihres Erachtens ziehen?

Die wichtigste Erkenntnis ist: Es gibt keine absoluten Sicherheiten! Ausserdem dürften private oder halbprivate Bankenrettungen, wie früher etwa bei der Spar- und Leihkasse Thun SLT und jetzt bei der CS, dürften kaum mehr vorkommen. Aufgrund der internationalen Verflechtungen der Finanzplätze spielen Selbstregulierung kaum mehr eine Rolle. Die Zusammenarbeit in internationalen Gremien wird immer wichtiger. Neue Bankenregulierungen, insbesondere betreffend «Too Big To Fail», sind daher unvermeidlich. Es ist zu hoffen, dass bei der Regulierung ein Risikoansatz beachtet wird, insbesondere im Hinblick auf die kleineren und mittelgrossen Banken. Schlussendlich braucht es zur UBS eine umfassende Debatte, denn deren allfällige Rettung in einer hoffentlich fernen Zukunft wäre einzig durch eine sehr, sehr teure staatliche Übernahme denkbar.