USA dürften ihre Geopolitik nur beschränkt neu ausrichten
Der neue amerikanische Präsident, Joseph «Joe» Biden, weckt Hoffnungen auf eine Veränderung der Geopolitik. Es ist zwar eine Veränderung im Stil, aber weniger in der Substanz in den Spannungszonen mit China und Russland zu erwarten. Gegenüber Europa dürften die USA hingegen wieder mehr Kooperation zeigen, was sich positiv auf europäische Aktien auswirken könnte.
Die Frage, die sich zum Jahreswechsel viele Anleger stellen, ist, ob nun mit einem neuen US-Präsidenten auch eine veränderte Geopolitik einher geht. Da die Geopolitik ein wichtiger Teil des Umfelds für die Finanzmärkte bildet, ist die Beantwortung dieser Frage für 2021 und darüber hinaus von Bedeutung.
Für die nächsten vier Jahre mit Joe Biden als Präsidenten der wichtigsten Supermacht dürfte sich gewiss der Stil, aber weniger die Substanz des geopolitischen Auftritts der USA ändern. Dies gilt speziell im Verhältnis zu den anderen wichtigen Supermächten China und Russland. Klar ist, dass auch die demokratische Partei und ihre Anhänger mehrheitlich skeptisch gegenüber Chinas aggressiverer Machtausübung und seines Verhaltens in Hong Kong, insbesondere punkto Beachtung der Menschenrechte, stehen. Vergessen wir nicht, dass es der demokratische US-Präsident Bill Clinton war, welcher 1996 zwei amerikanische Flugzeugträger vor die Küste Chinas schickte, nachdem China als Drohung Raketen über dem Golf von Taiwan abgefeuert hatte.
Gérard Piasko, Chief Investment Officer, Maerki BaumannEuropäische Aktien könnten von der Stimmungsverbesserung über Kapitalflüsse aus den USA profitieren; daher sehen wir uns in der erhöhten Aktiengewichtung der Eurozone bestätigt. Angesichts eines weiterbestehenden Konfliktpotenzials bleibt Gold allerdings ein wichtiger mittelfristiger Portfoliobestandteil.
Die Rivalität zwischen den USA und China im Kampf um die Vorherrschaft bei führenden Technologien und im Konflikt um die militärische Dominanz wird auch unter einem demokratischen US-Präsidenten anhalten. Die militärischen Ambitionen Chinas in der Region (von Taiwan bis nach Singapur) weckt Erinnerungen an die aggressive Politik Japans in der gleichen Region nach 1940. Bereits heute hat China 72 für militärische Angriffe vorgesehene Unterseeboote gegenüber den 58 der USA oder 50 russischen. Damit kann China die US-Marine auf rund 1’500 Kilometer (!) Distanz von Chinas Küsten entfernt stoppen, was noch bis vor kurzem völlig undenkbar war. Der chinesische Präsident, Xi Jinping, meinte jüngst in chinesischen Medien sogar, China müsse sich auf eine grössere militärische Auseinandersetzung vorbereiten. Auch wenn ein Krieg sicher nicht bevorsteht, zeigen solche Äusserungen doch die aggressiv-expansive chinesische Haltung – genauso wie die unvermindert weitergehende Besetzung der Paracel- und Spratly-Inseln im südchinesischen Meer unweit von Singapur und den Philippinen.
Konklusion ist, dass der neue US-Präsident zwar keine neuen Strafzölle gegen China erheben wird, der geopolitische Konflikt zwischen den USA und China in der Substanz aber bestehen bleibt, auch betreffend Respektierung von intellektuellen Eigentumsrechten. Ebenso wird der Wunsch von weniger Abhängigkeit von China bei den globalen Wertschöpfungsketten bleiben – und zwar nicht bei amerikanischen Firmen, die auf Zulieferteile angewiesen sind, sondern auch in Europa. Die Rückführung von Teilen der globalen Produktion von China in westliche oder andere Länder, könnte Chinas Potenzialwachstum reduzieren. Falls im Gefolge in China dann die Arbeitslosigkeit zunehmen würde, könnte sich Chinas aussenpolitische Aggressivität wegen zunehmenden innenpolitischen Schwierigkeiten der kommunistischen Partei sogar erhöhen.
Auch gegenüber Russland ist von Joe Biden als US-Präsidenten keine Entspannung der bestehenden Unstimmigkeiten zu erwarten. Sanktionen gegenüber russischen Verantwortlichen bei Eliminationen von Regimegegnern sind genauso denkbar wie wieder mehr Konflikte um die militärische Einflussnahme Russlands im Nahen Osten oder in Osteuropa (Ukraine/Weissrussland).
Wo sich in der Geopolitik unter dem neuen amerikanischen Präsidenten hingegen klar eine Besserung einstellen sollte, ist im Verhältnis der USA zu Europa, speziell der Eurozone. Kein Wunder wurde die Abwahl Donald Trumps denn auch vor allem in Frankreich und Deutschland mit Wohlwollen aufgenommen. Es ist zu erwarten, dass der neue US-Präsident nicht nur dem Pariser Klima-Abkommen wieder beitreten, sondern auch wieder die transatlantischen Freundschaftsbande punkto NATO betonen dürfte, was auch eine Botschaft Richtung Russland darstellt.
Was sind die anlagepolitischen Konklusionen dieser möglichen Veränderung der Geopolitik unter dem neuen US-Präsidenten? Erstens könnten europäische Aktien von der Stimmungsverbesserung über Kapitalflüsse aus den USA profitieren; daher sehen wir uns in der erhöhten Aktiengewichtung der Eurozone bestätigt. Zweitens bleibt angesichts eines weiterbestehenden Konfliktpotenzials Gold ein wichtiger mittelfristiger Portfoliobestandteil.