Von der Schwäche zur Stärke im Verhandeln
Welche Strategien empfehlen sich bei schwierigen Verhandlungen? Erfolg ist nicht garantiert, aber machbar. Schlussfolgerungen aus den Erfahrungen eines Praktikers.
Immer wieder erstaunlich, wie Menschen selbst in scheinbar schlechten Ausgangslagen erfolgreich Verhandlungen führen. Ein Beispiel ist Peter Maurer, bis vor einigen Monaten Präsident des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK). In der NZZ hielt er kürzlich Rückschau auf seine Amtszeit und vermittelte dabei Einblicke in sein Verhandlungsgeschick trotz fehlender formaler Macht; Fähigkeiten, die sich auch in normalen Situationen nutzen lassen. Die wohl wichtigste Erkenntnis ist relativ unspektakulär. Verhandlungen seien Knochenarbeit, sagt Maurer in dem Interview, bestehend aus 80 Prozent Fleiss, 20 Prozent Erfahrung und etwas Instinkt. «Man muss die Handlungsspielräume kennen, das Gegenüber und seine Strategie lesen, Nuancen wahrnehmen …», so der gewiefte Verhandler in Menschenrechtsfragen wörtlich.
Gute Vorarbeit ist unabdingbar
Dies bedeutet auch, dass man über sein Gegenüber am Tisch und dessen Umfeld möglichst umfassend informiert sein sollte. Das Zusammentreffen beginnt damit schon lange vor dem eigentlichen Termin. Mit anderen Worten: Gute Dossierkenntnis ist eine wesentliche, aber nicht hinreichende Voraussetzung. Hinzu kommt die Abrundung durch informelle Kanäle. Maurer legt eine weitere Erkenntnis nahe. Man sollte stets mit dem Schlimmsten rechnen und dafür einen Plan X haben, der die Tür zu neuerlichen Gesprächen offenhält.
Peter Maurer, vormaliger Präsident des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK)Verhandlungen sind Knochenarbeit, bestehend aus 80 Prozent Fleiss, 20 Prozent Erfahrung und etwas Instinkt.
Ein wesentliches Plus in Verhandlungen sind nach den Worten Maurers persönliche Erfahrungen. Bewusst ging der Profi in humanitärer Hilfe an die Fronten militärischer Konflikte, um sich ein Bild zu machen. Er ist überzeugt: «Die authentische Schilderung durch den Präsidenten gibt dem IKRK Glaubwürdigkeit». Aber auch wer mit wichtigen Ausländern über Aufträge spricht, sollte schon einmal in ihrem Land gewesen sein. Wer eine Produktionsstätte zukauft, tut gut daran, die Arbeitsbedingungen dort persönlich zu kennen.
Trennung zwischen Person und Sache
Extrem waren für Maurer die Verhandlungen mit Autokraten und Diktatoren rund um die Welt. Hier müsse «man zu einem gewissen Grad ausblenden, was man über sie weiss», findet er. «Der Fokus gilt ganz den Zugeständnissen, die man abringen will.» Er hätte hinzufügen können, wie wichtig es ist zu vermitteln, dass die Anliegen auch der Gegenseite Gewinne bringen und sei es nur im Erscheinungsbild. Bezogen auf Alltagssituationen ist gleichfalls zwischen einer möglichen Antipathie gegenüber dem Kontrahenten und dem Vorankommen in der Sache zu trennen, so schwer dies auch sein mag. Zugleich muss man sich darüber klar werden, wie bindend die andere Seite einen Vertrag einschätzt. Das gilt für die hohe Politik ebenso wie für vielleicht unsichere Kantonisten am Verhandlungstisch. Welche Rahmenbedingungen müssen halten, damit die anderen nicht mit windigen Ausflüchten und Rechtshändeln von der Fahne gehen? Nicht jeder stuft seine Vertragsunterschrift als unverbrüchliche Verpflichtung ein. In manch einer Konstellation empfehlen sich daher eher vorausschauende Neuverhandlungen als das Risiko unvermittelter Treuebrüche. Ein Punkt ist indes unabdingbar: das Einbringen neuer eigener Interessen, um nicht in die Position eines Bittstellers zu geraten.