Digitale Transformation: Schweizer Gesundheitswesen im europäischen Vergleich weit abgeschlagen

Die Schweiz ist in der Digitalisierung des Gesundheitswesens im europäischen Vergleich weit abgeschlagen. Warum das Innovationsland Schweiz gerade bei der digitalen Transformation des Gesundheitswesens nur schleppend vorankommt, damit beschäftigt sich eine Studie des Strategieberatungsunternehmens Oliver Wyman in Zürich.

Die Ergebnisse der Studie sind ernüchternd: Die befragten Studienteilnehmer waren überwiegend der Ansicht, dass die Digitalisierung bisher einen zu geringen Einfluss im Gesundheitswesen der Schweiz hat, obwohl dadurch jährlich Kosteneinsparungen von mehreren Milliarden Schweizer Franken möglich wären. Das Autorenteam hat sich mit den konkreten Ursachen beschäftigt und folgende vier Punkte identifiziert:

  • Regulatorische Hürden – Es fehlen massgeschneiderte gesetzliche Rahmenbedingungen für digitale Gesundheitslösungen, unter anderem in der Definition spezifischer Tarifstrukturen sowie in Bezug auf die Erstattung durch die Krankenkassen. Auch stellen die aktuellen Datenschutzvorschriften ein Hindernis bei der Einführung von digitalen Medizinprodukten dar. Zudem gäbe es zu viele Unsicherheiten in der gegenseitigen Anerkennung von Schweizer und EU-Zulassungen.
  • Mangelnde Finanzierung – Aufgrund der föderalen Strukturen im Gesundheitswesen der Schweiz sind insbesondere die Leistungserbringer dezentral organisiert, was flächendeckende Kommerzialisierung von Innovationen erschwere. Start-ups haben zudem mit schlechten Finanzierungsmöglichkeiten und mangelndem Zugang zu Ressourcen zu kämpfen, was wiederum ein Weiterkommen im Schweizer Markt erschwere.

Sowohl bei Leistungserbringern als auch bei Patienten ist das Verständnis für die dringende Notwendigkeit der Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen sowie der langfristigen Vorteile mangelhaft.

Marie-Lyn Horlacher, Co-Studienautorin und Head Health and Life Sciences, Oliver Wyman
  • Mangelndes Bewusstsein für digitale Lösungen – Sowohl bei Leistungserbringern als auch bei Patienten ist das Verständnis für die dringende Notwendigkeit der Digitalisierung im Gesundheitswesen sowie der langfristigen Vorteile mangelhaft. Durch den hohen Wohlstand der Schweiz existiert nur ein geringer Druck, Kosten zu senken und Investitionen voranzutreiben. Mehr als die Hälfte der Führungskräfte sei der Ansicht, dass die digitale Transformation im Schweizer Gesundheitswesen in den letzten fünf Jahren nur geringe positive Auswirkungen auf die Qualität der Gesundheitsversorgung hatte.
  • Mangelnde Interoperabilität der Daten und fehlende Zusammenarbeit zwischen Akteuren – Leistungserbringer wie Ärzte und Spitäler nutzen verschiedene Systeme für die Administration von Patientendaten und es fehlt der Wille zu Formatanpassungen. Diese mangelnde Interoperabilität der Daten erschwert den Austausch untereinander. Dies gilt auch für Forschungsdaten. Für den Datenaustausch spielt die flächendeckende Nutzung des Elektronischen Patientendossier (EPD) in den nächsten 5 bis 10 Jahren eine kritische Rolle.

Die Oliver Wyman Studie präsentiert folgende Lösungsvorschläge, die zur Verbesserung der Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens beitragen würden: Regulierungsbehörden müssen Standards einführen, Anreize für Kooperation setzen und aktuelle Prozesse beschleunigen, um günstige gesetzliche Grundlagen zu schaffen. Hersteller, insbesondere Start-ups, sollen sich auf den Nachweis des medizinischen und gesundheitsökonomischen Mehrwerts der Innovationen und dessen Kommunikation fokussieren. Dabei sollten Leistungserbringer, namentlich Spitäler, sowie Patienten stärker in den Entwicklungsprozess eingebunden werden, um die Benutzerfreundlichkeit der Anwendungen zu erhöhen und das Vertrauen der Nutzer zu stärken. Weiter sollen sich Krankenversicherungen auf einen gemeinsamen Ansatz für die Erstattung von digitalen Lösungen und die Gestaltung von regulatorischen Rahmenbedingungen einigen. «Werden diese Massnahmen konsequent ergriffen und koordiniert umgesetzt, kann die Schweiz ihren Rückstand im Bereich Digitalisierung des Gesundheitswesens aufholen und langfristig deutliche Kosteneinsparungen erwirken», so Marie-Lyn Horlacher.

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