Keine Frage zwischen Value und Growth
Dank der harten Einschränkungen der letzten Monate in Kombination mit breit ausgelegten Impfkampagnen sind die COVID-Fallzahlen jetzt in Europa und in Nordamerika deutlich gesunken. Die Wirtschaftsleistung hat sich nach einem global synchronisierten Stillstand im Frühjahr 2020 weitgehend erholt. In einzelnen Sektoren konnten wir sogar deutliche Überhitzungstendenzen beobachten, die sich auch positiv in den Aktienkursen niedergeschlagen haben.
Nach den sehr starken Kursavancen an den Aktien- und Rohstoffmärkten über die letzten 12 Monate stellt sich berechtigterweise die Frage, ob die Reise in diesem Tempo weitergehen kann und wo allenfalls die Gefahren grösserer Kursrückschläge sind. Nachfolgend einige Faktoren, die wir derzeit genau beobachten.
Die Zentralbanken unterstützen die Wirtschaft weiterhin mit tiefen kurzfristigen Zinsen, trotz starkem Wirtschaftswachstum und «temporären» globalen Inflationstendenzen. Zu dieser Liquidität kommen die enormen Sparvermögen, die sich in der Krise angehäuft haben und zunehmend in die Aktienmärkte oder auch den Konsum fliessen. Diese beiden Faktoren im Zusammenspiel mit der globalen Öffnung der Wirtschaft bleibt ein starker Rückhalt für die Wirtschaft. Sollten jedoch die Zentralbanken die Liquidität früher oder stärker als erwartet aus den Märkten abziehen, könnte dies zu grösseren temporären Gewinnmitnahmen an den Renten- und Aktienmärkten führen.
Andreas Gilgen, Leiter Portfoliomanagement, Bank AlpinumDank der tiefen Zinsen der letzten Jahre nimmt die Zinslast vieler Staatshaushalte auch heute noch ab, die Haushaltsdefizite steigen weiterhin stark an. Früher oder später bedeutet dies höhere Abgaben und Steuern.
Nach langen Jahren mit tiefer Inflation erwarten wir in den kommenden Jahren eher eine Normalisierung auf leicht höherem Niveau. Für die Wirtschaft wäre dies positiv, nicht so für die jetzt schon arg strapazierten Sparer, die mit negativen Realzinsen zunehmen an Kaufkraft verlieren.
Die COVID-Krise hat vor allem die Staatshaushalte mit enormen Kosten belastet. Unklar ist, wie diese Kosten amortisiert werden können, ohne das Wirtschaftswachstum zu bremsen. Dank der tiefen Zinsen der letzten Jahre nimmt die Zinslast vieler Staatshaushalte auch heute noch ab, die Haushaltsdefizite steigen weiterhin stark an. Früher oder später bedeutet dies höhere Abgaben und Steuern.
Angekündigte Wirtschaftsförderprogramme bilden für die Wirtschaft und für Unternehmen einen guten Rückhalt. Auf der anderen Seite haben sich jüngst 130 Länder auf eine umfassende Steuerreform und die Einführung globaler Mindeststeuersätze für Grossunternehmen geeinigt. Die zusätzlich erwarteten Steuerzahlungen von USD 150 Milliarden geht wohl zu Lasten der Aktionäre. In den USA wird zudem ein strengeres Kartellrecht vor allem die Grosskonzerne belasten.
Sehr zugenommen hat auch die Sektor-Rotation. Gemeint ist damit, dass sich die Anleger immer rascher neu positionieren, um von künftig erwarteten Trends zu profitieren. Wir sehen Chancen bei Substanzwerten und selektiv auch bei zyklischen Wachstumswerten. Es ist also keine Frage zwischen Value oder Growth-Titeln. Primär sehen wir jedoch Chancen bei qualitativ guten Unternehmen in Europa, die langfristig einen Mehrwert erzielen und ein nachhaltiges Geschäftsmodell führen. Aufgrund der erwähnten Faktoren rechnen wir weiter mit positiven Gewinnwarnungen, auch wenn diese etwas weniger stark ausfallen als in den letzten zwei Quartalen. Aktieninvestoren profitieren auch in Zukunft von dynamischem Unternehmertum, unabhängig von kurzfristigen Zyklen oder Marktkorrekturen.