Gregor Stücheli: «Je digitalisierter das Business, desto mehr Angriffspunkte finden Cyberkriminelle.»

Gregor Stücheli ist CEO und VRP von Inventx AG, einem Schweizer IT-Unternehmen mit grossen Ambitionen. Im Interview spricht er über das gemäss seiner Einschätzung nach wie vor enorme Potenzial der Digitalisierung, die unbegründete Sorge vor Arbeitplatzverlusten und klärt Missverständnisse im Zusammenhang mit der Daten-Cloud auf.

Gregor Stücheli, was antworten Sie Skeptikern der Digitalisierung in der Finanzindustrie, die Arbeitsplätze in Gefahr sehen und die in der fortschreitenden Technologisierung durchaus auch Risiken sehen?

Gregor Stücheli: Entsprechende Befürchtungen erinnern mich an die Maschinenstürmer im 19. Jahrhundert, die auch meinten, dass Technologie ihre Arbeitsplätze bedrohe. Aber wenn wir zurückschauen, wie viele neue Berufe entstanden sind, dann können wir meines Erachtens auch optimistisch für die Finanzindustrie in die Zukunft blicken: Wer hätte vor einigen Jahren gedacht, dass es Finance Data Scientists oder Digital Banking Advisors geben wird?

Apropos Risiko: Eine Schweizer Grossbank spielt offenbar mit dem Gedanken, sensible Kundendaten in einer externen Cloud zu speichern. Ist das unter dem Sicherheitsaspekt eine gute Idee?

Gerade in Bezug auf die Cloud existieren noch viele Missverständnisse. Es gibt nicht die eine Cloud, sondern ganz viele verschiedene Ausprägungen wie «Private», «Public» oder auch die hybride Kombination aus beiden wie etwa unsere ix.Cloud. Für Kernapplikationen und Daten

Gerade in Bezug auf die Cloud existieren noch viele Missverständnisse.

Gregor Stücheli, CEO und VRP Inventx AG

kommt nur die hochgesicherte und Compliance-gerechte Private Cloud in Frage; für Flexibilisierung und Skalierung von Ressourcen kann die Public Cloud genutzt werden. Mit der hybriden Cloud vereinen Banken das Beste aus beiden Welten. Ein externer Betreiber, der dieses hybride Modell beherrscht, ist eine sehr attraktive Alternative zu einer internen Infrastruktur.

Was halten Sie grundsätzlich von der Idee, sensible IT-Prozesse von Banken oder Versicherungen auszulagern?

Banken und Versicherungen sollen sich auf das konzentrieren, was sie am besten können: Kunden in Bezug auf ihre Finanzen, ihre Vorsorge oder die Prävention beraten und ihnen entsprechende Produkte und Dienstleistungen anbieten. Die Prozesse, wie solche Produkte und Dienstleistungen entwickelt, ausgerollt, verkauft, abgewickelt und abgerechnet werden, sind in der IT abgebildet. Doch es ist nicht Kernkompetenz einer Bank oder Versicherung, die dafür notwendige Infrastruktur bereitzustellen, zu betreiben und weiterzuentwickeln. Das können spezialisierte IT-Unternehmen besser, schneller und kostengünstiger, denn sie können skalieren.

Sind die sogenannten Neo-Banken den etablierten Finanzinstituten in Sachen Digitalisierung tatsächlich überlegen?

Neo-Banken sind bereits digital «geboren», insofern lautet die Antwort: ja, sie haben Digitalisierung in ihrer DNA. Doch Banken dominieren nach wie vor die Kundenschnittstelle. Daher sehen wir auch die vielen Kooperationen zwischen etablierten Banken und Fintechs. Es reicht nicht, nur digital zu sein. Man muss ein Kundenbedürfnis antizipieren und mit seiner Wertschöpfung angemessen abdecken können.

Das Thema Cyber Crime gewinnt zunehmend an Bedeutung. Öffnen die Banken kriminellen Elementen mit der Digitalisierung nicht Tür und Tor?

Je digitalisierter das Business, desto mehr Angriffspunkte finden Cyberkriminelle. Es braucht deshalb Security-Lösungen, die nicht erst reagieren, wenn etwas passiert ist, sondern solche, die Gefahren erkennen und eindämmen, bevor Schaden entsteht. Wir setzen im Risikomanagement auf Tools, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) und Machine Learning basieren und so auch neue Arten von Betrug erlernen, indem die Algorithmen aus einer Vielzahl an Daten Anomalien herausfiltern und frühzeitig Alarm schlagen.

Sind Anwendungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) tatsächlich die Heilsbringer, als die sie zuweilen gehandelt werden, oder werden sie möglicherweise hinsichtlich ihres tatsächlichen Potenzials überbewertet?

Sie sind in Tat und Wahrheit noch völlig unterbewertet! Wenn KI ihr Potenzial entfaltet, werden wir Menschen von vielen Routineprozessen entlastet und können uns kreativen Aufgabenstellungen zuwenden. Denn KI ist zwar schneller, fehlerloser, günstiger und ermüdet nicht, aber schöpferisch ist sie (noch) nicht. Und die Power steckt ja nicht nur in KI alleine: Kombiniert mit Blockchain als Trust-Layer und Smart Contracts, die automatisiert durch KI erstellt und ausgeführt werden, bewegen wir uns hin zu einem «Internet of Money», in dem Finanz-, Daten- und Warenströme zunehmend miteinander verschmelzen.

Wohin wird die Reise in Sachen Digitalisierung noch gehen? Ist das Potenzial – speziell in der Finanzindustrie – schon ausgeschöpft?

Nein, wir stehen erst am Anfang. Die Vision ist, dass Sie gemütlich auf Ihrem Sofa per Virtual Reality in Ihrem künftigen Traumhaus spazieren gehen, am Tablet unmittelbar massgeschneiderte Vorschläge für Ihre Hypothek erhalten, durch die Sie beim Znacht mit Ihrer Frau bis zum Abschluss durch einen digitalen Assistenten geführt werden, der on top noch den Champagner bestellt und an Ihre Haustüre liefern lässt.

Welches ist aus Ihrer Sicht die grössten (Denk-)Fehler, die Banken und Versicherungen im Rahmen ihrer Digitalisierungsstrategie machen?

Dass sie alles selber machen und kontrollieren müssen. Innovation entsteht heutzutage jedoch zumeist in Ko-Kreation. Wir haben dafür unser hauseigenes ix.Lab ausgebaut und stellen es seither unserer Community zur Verfügung. Darin werden Ideen sowohl für Effizienzsteigerungen als auch für Geschäftsmodellinnovationen entwickelt, auf den Prüfstand einer Jury gestellt und bei Potenzial zur Marktreife gebracht. Wir nehmen eine Ko-Investorenrolle ein und tragen mit unserem Geschäfts-(prozess)- und Technologiewissen sowie erprobten Gefässen zu Open Innovation bei. Die Endkundenschnittstelle bleibt jederzeit in der Oberhoheit der Bank oder der Versicherung, die mit uns in dieser Form innoviert.

Welche Schweizer Bank ist aus Ihrer Sicht im Bereich der Digitalisierung führend? Wer hat seine Hausaufgaben (noch) nicht gemacht?

(Lacht) – Sie wollen jetzt konkrete Namen von «Musterschülern» und «Versagern» hören? Damit kann und will ich nicht dienen. Was ich aber sagen kann, ist, das wir auf das mittlere Schweizer Bankensegment, Kantonal-, Privat- oder Regionalbanken, Vermögensverwalter und anverwandte Finanzdienstleister fokussieren, die im Schnitt ähnlich unterwegs sind. Sie lagern aus, was nicht zu ihrer Kernkompetenz gehört, etwa das Applikationsmanagement oder den IT-Betrieb, um im Backoffice effizient zu sein. Und sie arbeiten an digitalen Lösungen für den Frontbereich, mit denen sie Kunden dort abholen, wo diese mit ihrer Bank über die Filiale hinaus interagieren wollen: im Internet und übers Handy.

Hauptbildnachweis: Reto Flückiger-Wälchli