Whistleblowing als unerlässliches Warnsystem für Unternehmen (Teil 1)

Studien belegen, dass Whistleblower in Unternehmen der wichtigste Faktor für die Aufdeckung von Unregelmässigkeiten sind. Etwa zwei Drittel der Verstösse werden durch Hinweisgeber ins Rollen gebracht. Ein mangelndes Whistleblowing-Konzept erhöht die Gefahr von Reputationsschäden und den damit verbundenen möglichen finanziellen Verlusten. Trotzdem fehlt es in der Schweiz an standardisierten Prozessen und einem spezifischen Schutz für Hinweisgeber. Eine Bestandsaufnahme in zwei Teilen.

Die Diskussion um Whistleblower-Systeme erreichte im Frühjahr 2020 einen Höhepunkt, als der Nationalrat eine Gesetzesvorlage betreffend Whistleblowing ablehnte. Auf europäischer Ebene gelang es dagegen, eine Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern zu verabschieden, die bis Ende 2021 in den einzelnen Ländern umgesetzt werden muss.

Noch immer haben zu wenige Unternehmen ein Whistleblower-System in ihre Governance integriert, gerade auch in der Finanzindustrie.

Lamara von Albertini, Albertini Compliance Services

Dass es vernünftige Systeme zum Schutz der Unternehmen als auch der Whistleblower geben sollte, machen die vielen Beispiele der jüngsten Vergangenheit deutlich: Die Weitergabe von Steuerdaten von Bankkunden, die Betrugsfälle bei der Sozialhilfeeinrichtung, das Bekanntwerden des grossen Baukartells oder der Whistleblowing-Fall des Universitätsspitals Zürich. Noch immer haben zu wenige Unternehmen ein Whistleblower-System in ihre Governance integriert, gerade auch in der Finanzindustrie. Zwar haben laut Whistleblowing-Report 2019, durchgeführt von der HTW Chur, zwei Drittel der befragten Schweizer Unternehmen zumindest Meldestellen, doch fehlen die Prozesse und eine notwendige Transparenz und vor allem eine Speak-up-Kultur dahinter, so dass hier nicht von wirklichen Frühwarnsystemen gesprochen werden kann. Dabei hat Social Media mit Twitter, Facebook & Co. nochmal als Booster-Effekt gewirkt und das Risiko eines möglichen finanziellen Schadens sowie eines negativen Images für Unternehmen ist nochmals deutlich grösser geworden.

Risikowarnsysteme funktionieren in der Finanzbranche nur, wenn sie in eine Unternehmenskultur eingebettet sind und es Prozesse gibt, die von A bis Z niedergeschrieben und gelebt werden.

Lamara von Albertini

Aufbau einer Speak-up-Kultur
Generell sollten die Unternehmen neue Technologien nutzen und für die Mitarbeiter eine anonyme Online-Meldeplattform schaffen, gleichzeitig Gesprächsmöglichkeiten mit einem internen oder externen vertraulichen Ombudsmann anbieten. Mitarbeiter sollten frei wählen können. Die Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Whistleblowing-System ist allerdings eine umfassende Speak-up-Kultur, die einen angstfreien Dialog zulässt. Risikowarnsysteme funktionieren in der Finanzbranche nur, wenn sie in eine Unternehmenskultur eingebettet sind und es Prozesse gibt, die von A bis Z niedergeschrieben und gelebt werden. Hier geht es an die Grundlagen der Firmenphilosophie. Sind die Werte des Unternehmens schriftlich fixiert und allen Mitarbeitern und vor allem Führungskräften kommuniziert worden? Werden diese in bestimmten Abständen überprüft und gegebenenfalls angepasst? Nur so können Standards als Leitplanken funktionieren, wenngleich die Unternehmen diese als individuelles Konzept anpassen müssen. Wie so ein Konzept aussehen kann, darüber erfahren Sie mehr im zweiten Praxisteil im neuen Jahr.

Lamara von Albertini ist Juristin und Geschäftsführerin der von Albertini Compliance Services GmbH in Zürich. Sie berät Unternehmen in verschiedenen regulatorischen und Compliance Fragen. Vor der Gründung ihres Beratungsunternehmen war sie als Head Legal und Compliance im Finanzsektor tätig.