«Home Bias» offenbart anhaltende Defizite im Finanzwissen der Anleger und kostet Rendite
«Home Bias» – die Neigung von Anlegern, den grössten Teil ihres Portfolios in inländische Anlagen zu investieren – bleibt eines der rätselhaftesten Phänomene im Anlagebereich. Wir sind der Frage nachgegangen, warum so viele Anleger den Grossteil ihrer Portfolios weiterhin in inländischen Vermögenswerten halten, selbst wenn sie dadurch im Marktvergleich deutlich Renditeeinbussen hinnehmen müssen.
Unser Standpunkt verdeutlicht sich vor dem Hintergrund der Ergebnisse einer anfangs dieses Jahres durchgeführten Umfrage unter britischen Investoren. Diese zeigte, dass fast die Hälfte der befragten Anleger mehr als 50% ihres Anlagevermögens in britischen Aktien hielt, obwohl 2020 kaum ein anderer bedeutender Aktienmarkt so schlecht abgeschnitten hat wie der britische. Wir haben uns die Gründe für die unterdurchschnittliche Wertentwicklung des britischen Marktes, die vergleichsweise bessere Performance anderer Märkte und die «unglaublich eingeschränkte Sichtweise» der vielen Anleger, die die klaren Implikationen dieser Performance-Unterschiede weiter ignorieren, genauer angesehen.
Colin Fitzgerald, Head of Distribution EMEA, InvescoVor fast einem Jahrzehnt veröffentlichte Studien zeigen, dass einige Fondsmanager genauso anfällig für den Home Bias sind wie einzelne Anleger.
Zu den spezifischen Problemen des britischen Aktienmarktes zählt der relative Bedeutungsverlust der Londoner Börse, die heute nur noch 3,6% des weltweiten Aktienmarktes ausmacht, verglichen mit mehr als 10% im Jahr 2006. Darüber hinaus spiegelt die unterdurchschnittliche Wertentwicklung britischer Aktien im Jahr 2020 unserer Ansicht nach auch den Mangel an Technologieunternehmen wider: So mache der Technologiesektor weniger als 2,5% am Gesamtwert des FTSE 100 aus, verglichen mit einem Anteil von rund 30% am S&P 500. Unterdessen ist auch die Zahl der Börsengänge in London in den letzten 15 Jahren drastisch zurückgegangen, wodurch Anleger hier «eher ein über hundert Jahre altes Unternehmen als einen dynamischen Start-up» finden.
Das soll nicht heissen, dass Anleger grundsätzlich einen Bogen um britische Aktien machen sollten. Tatsächlich sehen wir auch an diesem Markt weiterhin viele attraktive Anlagemöglichkeiten. Trotz der zusätzlichen Komplikation durch den Brexit zeigt die wachsende Zahl vielversprechender junger Unternehmen und der zunehmende Einfluss von Venture-Capital-Gebern, dass der Markt noch lange nicht am Ende ist. Zudem könnte der britische Aktienmarkt gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis, das derzeit unter den vergleichbaren Aktienindizes liegt, unterbewertet sein. Nichtsdestotrotz verdeutlicht das britische Beispiel unseres Erachtens die Gefahren einer allzu engen Fokussierung auf einen einzigen Markt und das rätselhafte Phänomen, dass viele Anleger weiterhin zögern, über ihren Heimatmarkt hinauszublicken, selbst wenn dieser über längere Zeit unterdurchschnittlich abschneidet.
Colin FitzgeraldGenauso wie die Diversifikation über verschiedene Anlageklassen ist auch die regionale Diversifikation keine abstruse Theorie, sondern entspricht einfach dem gesunden Menschenverstand.
Der Schlüssel zum Anlageerfolg liegt darin, das grosse Ganze zu erkennen – also langfristig, thematisch und global zu denken. Selbst wenn der betreffende Heimatmarkt die stärkste Wirtschaft der Welt sein sollte, sind Anleger gut beraten, nicht alles auf eine Karte zu setzen. Schliesslich reduziert eine gute Diversifikation potenziell das Gesamtrisiko und könne helfen, längerfristig höhere Renditen zu erzielen.
Colin FitzgeraldDer Schlüssel zum Anlageerfolg liegt darin, das grosse Ganze zu erkennen – also langfristig, thematisch und global zu denken.
In der heutigen Investmentwelt könnten Anleger aus einem riesigen globalen Anlageuniversum schöpfen und feststellen, dass es sich oft lohnt, global zu denken. Genauso wie die Diversifikation über verschiedene Anlageklassen ist auch die regionale Diversifikation keine abstruse Theorie, sondern entspricht einfach dem gesunden Menschenverstand. Wie diverse Studien zeigten, hat sich diese Erkenntnis unter den Anlegern jedoch immer noch nicht durchgesetzt. Ganz im Gegenteil zeigt sich immer wieder, wie viele Anleger ihren Heimatmarkt in ihren Portfolios nach wie vor überproportional gewichten. Vor fast einem Jahrzehnt veröffentlichte Studien zeigen sogar, dass einige Fondsmanager genauso anfällig für den «Home Bias» sind wie einzelne Anleger. Die Marktpsychologie hilft, dieses Phänomen zu erklären: Zum einen fühlen sich Anleger in der Regel wohler mit Vermögenswerten, die sie gut kennen – oder von denen sie zumindest glauben, dass sie sie gut kennen – und halten das, was vermeintlich unbekannt ist und in weiterer Ferne liegt, für riskanter. Genauso bevorzugen einige Investoren vermeintlich absehbare Ergebnisse gegenüber dem, was sie glauben, nicht abschätzen zu können. In der historischen Betrachtung ist der «Home Bias» auch darauf zurückzuführen, dass Anleger die Schwierigkeiten scheuten, die traditionell mit Anlagen in ausländische Aktien verbunden waren, vor allem den vermeintlichen schwierigen Zugang zu diesen Märkten und die zusätzlichen Transaktionskosten.
Unserer Ansicht nach verdeutlicht das Phänomen des «Home Bias», wie wichtig es ist, das Finanzwissen vieler Anleger zu stärken – vor allem in einer Zeit, in der die Investmentwelt zunehmend digitalisiert und damit demokratisiert wird. Die Investmentindustrie muss ihren Teil dazu beitragen, die Lücke zwischen dem enorm erleichterten Marktzugang für Anleger und einer immer noch weit verbreiteten Uninformiertheit zu schliessen, die dem Anlageerfolg ganz sicher nicht zuträglich ist.