Die Resilienz des SMI während deutscher Rezessionen
An den Märkten werden derzeit auf Wochenbasis neue Negativrekorde gesetzt. Die Unsicherheit über die Zinswende der US-Notenbank, die Wirtschaftsabkühlung in Europa und die hohe Inflation treiben Investoren aus risikoreichen Finanzanlagen. Der defensiv aufgestellte Schweizer Börsenindex bot Investoren historisch betrachtet einen leichten Diversifizierungsvorteil während Schwächephasen der europäischen Binnenwirtschaft. Dies war in den vergangenen Monaten aufgrund der globalen Natur der Risiken nicht der Fall. Die wahre Stärke der Schweizer Börsen könnte sich somit erst beim Auftreten einer Rezession in Deutschland entfalten.
Die Lockerung der Geld- und Fiskalpolitik war in den letzten 10 Jahren ein kritischer Bestandteil bei der Lösung diverser Panikattacken an den Finanzmärkten und Teil des impliziten Verständnisses zwischen Investoren und Notenbanken. Die hohe Inflation in weiten Teilen der Welt, insbesondere in den Vereinigten Staaten und der Eurozone, limitiert nun jedoch den Spielraum der Währungshüter bei der Krisenbewältigung und Volatilitätsunterdrückung. Die Folge sind nachhaltig höhere Bewegungsspannen an den Aktien- und Anleihemärkten und eine allgemein höhere Ungewissheit unter internationalen Anlegern. Diverse Leitindikatoren für die Gesundheit der europäischen Wirtschaft, des Konsumenten und des verarbeitenden Gewerbes deuten auf eine Abkühlung in der zweiten Jahreshälfte. Solch eine Entwicklung würde in einem herkömmlichen Wirtschaftszyklus durch eine Lockerung der Geldpolitik bekämpft werden. Doch die Europäische Zentralbank wird aufgrund der steigenden Inflation den Leitzins laut den Angaben der EZB-Präsidentin im Juli und September anheben, nicht senken.
Boris Kovacevic, Leiter Währungs- und Makroanalyse, Western Union Business SolutionsInsbesondere während turbulenter Zeiten scheinen sich die Schweizer Börsen überproportional stark zu zeigen. Der deutsche Aktienmarkt ist während der letzten sechs Rezessionen der heimischen Wirtschaft im Durchschnitt um drei Prozent gefallen, während der Schweizer SMI eine positive Bilanz von sechs Prozent aufweist.
Diese antizyklische Dynamik zwischen der abflachenden Konjunktur und der paradoxen Straffung der Geldpolitik sorgt an den Märkten für Skepsis und schürt Rezessionsängste. Die Notenbanken haben anfangs mit der Normalisierung der Zinsen gezögert und müssen nun verlorene Zeit nachholen. Die Straffung in einem abkühlenden Konjunkturzyklus stellt einen doppelten Schock für die Märkte dar.
Von Inflations- zu Rezessionssorgen
Zusammengefasst herrscht also seit einigen Wochen eine gewisse Diskrepanz zwischen den Prioritäten der Investoren auf der einen Seite und der Notenbanken auf der anderen Seite. Sind die Konsumenten und Währungshüter noch fast ausschliesslich mit der Inflation beschäftigt, sehen Anleger die Wachstumssorgen zunehmend als das grösste Problem für die Weltwirtschaft an. Diese Annahme zeigt sich ganz klar an der jüngsten Positionierung an den Märkten. Investoren wechseln Inflations- mit Rezessionsabsicherungsinstrumenten in ihren Portfolios aus. Waren im ersten Quartal noch inflationsgeschützte Staatsanleihen und prozyklische Währungen wie der chinesische Yuan gefragt, erhalten nun Staatsanleihen und defensive Aktien eine erhöhte Nachfrage. Die jüngste Fokusverlagerung bedeutet jedoch nicht, dass die Inflation an den Märkten völlig aus den Augen gelassen wird. Die europäische Inflation hat im Mai ein neues Allzeithoch gefunden und die deutschen Staatsanleiherenditen sind insbesondere am kurzen Ende der Zinsstruktur weiterhin rasant am Steigen. Sollte sich die Inflation somit als hartnäckiger als erwartet herausstellen, würde die Wahrscheinlichkeit einer Stagflation in der Eurozone sichtlich steigen. In solch einem Umfeld schlägt sich auch der defensive Schweizer Aktienmarkt tendenziell besser als das zyklische deutsche Pendant.
SMI profitiert während Rezessionen von seiner defensiven Komposition
Die globalen Börsen haben jüngst unter dem fortlaufenden Kapitalabzug gelitten. Auch der defensiv aufgestellte Schweizer Börsenindex wurde von dem negativen Risikosentiment nicht verschont. Nach etwas mehr als hundert Handelstagen im neuen Wirtschaftsjahr hat der SMI knapp zehn Prozent seiner Marktkapitalisierung verloren. Damit verzeichnete der Swiss Market Index den schwächsten Jahresauftakt seit mindestens 1988. Investoren positionieren sich klar für steigende Zinsen und eine Abkühlung des globalen Konjunkturzyklus. Aufgrund der globalen Natur der makroökonomischen Risiken bieten die Schweizer Börsen momentan keinen Diversifizierungsvorteil gegenüber den breiteren europäischen Börsen. Über die ersten fünf Monate des Jahres entwickelten sich die meisten grossen Aktienindizes in Europa identisch.
Nichtsdestotrotz gibt es Perioden, in denen der defensiv aufgestellte SMI Vorteile aufweist. Insbesondere während turbulenter Zeiten scheinen sich die Schweizer Börsen überproportional stark zu zeigen. Der deutsche Aktienmarkt ist während der letzten sechs Rezessionen der heimischen Wirtschaft im Durchschnitt um drei Prozent gefallen, während der Schweizer SMI eine positive Bilanz von sechs Prozent aufweist. Dieses Merkmal der Resilienz während europäischer Krisen besitzen die wenigsten Börsen. Die Aktienleitindizes in Frankreich, Grossbritannien und Japan verloren während deutschen Rezessionen ebenfalls an Wert. Obwohl eine Kontraktion der deutschen Wirtschaft in diesem oder nächsten Jahr noch nicht in Stein gemeisselt ist, hat sich die Wahrscheinlichkeit in den vergangenen Monaten sichtlich erhöht. Historisch betrachtet bietet der SMI einen gewissen Puffer gegen die Verluste an anderen grossen Aktienmärkten.