Schweizer Banken zwischen Rekorderträgen und schwindender Relevanz

Der jährliche Bericht von McKinsey & Company zum globalen Banking zeigt: Trotz eines Rekordjahres 2024 mit historischen Gewinnen (1,2 Billionen US-Dollar) und vermittelten Volumen (426 Billionen US-Dollar), einem ROE-Höchststand (10,3%), steigenden Kapitalquoten (13%) sowie starken Ertragsmargen stehen Banken vor erheblichen Herausforderungen.

Während hohe Zinsen und niedrige Risikokosten das vergangene Geschäftsjahr begünstigten, verdeutlichen ein Kurs- Buchwert-Verhältnis (P/B) von 1,0 und ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (P/E) von 8,4, dass viele Banken weiterhin Schwierigkeiten haben, sich auf makroökonomische Unsicherheiten, Fintech- Wettbewerb und technologische Fortschritte einzustellen. Um die nächste Wachstumswelle zu nutzen, sind Banken gefordert, ineffektive Strategien abzulegen, um auch unter schwierigeren Bedingungen für alle Anspruchsgruppen Wert zu schaffen. Dabei gilt es, auf Präzision entlang der Dimensionen Technologie & KI, Kunden, Kapitaleffizienz und strategische M&A-Ansätze zu setzen. Auch in der Schweiz ist der Bedarf für strategischen Wandel trotz guter Performance (kumulierter Reingewinn 16,4 Milliarden US-Dollar) aufgrund des Verlusts von Marktanteilen im Private Banking angekommen.

Mit kumuliertem Reingewinn von 16,4 Milliarden US-Dollar in 2024 sind Schweizer Institute international gut positioniert, sollten jedoch auf strategische Präzision – auch zum Thema Künstliche Intelligenz – setzen, um Wachstumschancen ergreifen zu können.

Jan Quensel, Leiter Swiss Banking Practice, McKinsey

Von 2021 bis 2024 hat der Bankensektor insgesamt 3,36 Billionen US-Dollar an ausschüttungsfähigem Kapital (Free Cash Flow to Equity) generiert, was das Gesamtvolumen jeder anderen Branche übertrifft. Als kapitalgenerierende Industrie sind Banken jedoch mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, sodass Bewertungen an den Kapitalmärkten trotz des erfolgreichen Jahres 2024 fast 70% unter dem Durchschnitt aller anderen Branchen liegen. Makroökonomische Bedingungen und ein sich veränderndes Zinsumfeld, ein intensivierter Wettbewerb, verändertes Kundenverhalten sowie Zweifel an Innovationsfähigkeit trotz rasanter technologischer Fortschritte setzen Finanzinstitute unter Druck. Bisherige makroorientierte, skalengetriebene, und resilienbasierte Strategien sind im aktuellen Marktumfeld nicht zwangsläufig zielführend. Vielmehr rückt ein Präzisionsansatz in den Vordergrund, der die Leistungskurve der Branche beeinflussen wird. Schon jetzt zeigt sich, dass die ROE-Spanne zwischen dem unteren und oberen Quintil von Instituten mit Präzisionsfokus bei dem 2,7- bis 5,5-fachen liegt. Künstliche Intelligenz, auch agentische, leitet in diesem Kontext einen echten Paradigmenwechsel ein und wird sich zu einem entscheidenden Differenzierungsfaktor für Wettbewerbsfähigkeit entwickeln. Schweizer Finanzinstitute erzielten 2024 Erträge von 55,1 Milliarden US-Dollar, was einer Wachstumsrate (CAGR) von 2% entspricht. Der Reingewinn belief sich auf 16,4 Milliarden US-Dollar. Die sektorweite CET-1/RWA-ratio stieg im Vergleich zum Vorjahr leicht an auf 19.2% an. Der P/B-Wert von 1,06 entspricht in etwa dem globalen Schnitt, wobei der P/E-Wert mit 15,10 weit über der weltweiten Performance des Sektors lag. Jan Quensel (Partner & Leiter der Swiss Banking Practice bei McKinsey & Company Zürich) kommentiert: «Trotz weltweiter Rekordgewinne bedingen im Speziellen die Erwartungen der Investoren den Bedarf für eine präzise, strategische Weiterentwicklung. Das abflauende Makro-Umfeld erfordert schnelle Reaktionen auf kommerzieller Seite. Gleichzeitig sind strategische Antworten der Schweizer Banken auf die Entwicklungen neuer Kundensegmente, eine aktive Teilnahme im globalen M&A sowie in Technologieentwicklungen gefragt. Präzision und Geschwindigkeit sind das Gebot der Stunde, insbesondere beim Einsatz von KI.»

Eine der Stärken des Schweizer Finanzplatzes ist der Fokus auf dem weniger kapitalintensiven Wealth Management. Die globale Stärke in Vermögensverwaltung nimmt aber im Speziellen die Schweizer Privatbanken zur Präzision ihrer strategischen Antworten in die Pflicht.

Jan Quensel

Während viele Banken das Potenzial von agentischer KI erkannt haben, ist die Umsetzung noch gehemmt und fokussiert sich vor allem auf interne Prozesse, anstatt neue Kunden und Vermögenswerte zu gewinnen. KI bietet den stärksten Hebel, um Produktivitätsgewinne im Bankwesen zu erzielen und Prozesse mit neuer Präzision zu skalieren, was sich wiederum positiv auf ROE auswirken und Vorreitern ROTE-Anstieg ermöglichen könnte. Externe Anforderungen, interne strategische Roadmap, Akzeptanz innerhalb des Unternehmens und tatsächliche Nutzung freigesetzter Kapazitäten sind mitunter noch ungewiss: Die signifikante Absenkung von Bruttokosten in Kombination mit Technologieinvestitionen kann zu einem branchenweiten Kostenreduktionspotenzial von 15 bis 20 % (700 bis 800 Milliarden US-Dollar) führen. Ebenso entscheidend ist, in welchem Umfang Kunden KI für ihre Finanzdienstleistungen akzeptieren und anwenden. Bankkunden sind zunehmend digital, weniger loyal und bewusster in ihrer Wahl in der Art und Weise wie sie Bankprodukte und -dienstleistungen nutzen, sodass neben Chancen auch das Risiko der Disintermediation besteht: Diese Entwicklung könnte Wertschöpfungspools – _insbesondere bei Einlagen und im Zahlungsverkehr – erheblich stören, zu einem globalen Gewinnrückgang von 9% führen und die durchschnittliche ROTE um 1 bis 2 Prozentpunkte senken. Fast ein Drittel der KI-nutzenden Bankkunden, die in den letzten zwei Jahren ein neues Konto eröffnet haben, geben an, generative KI bei der Auswahl ihres Anbieters verwendet zu haben.

Aufgrund des Skalierungspotenzials von KI ist nicht mehr Grösse der entscheidende Faktor, sondern Präzision für ein effektives Kapitalmanagement. Banken müssen die Kapitalallokation auf einer detaillierten Ebene bewerten, um sicherzustellen, dass Kapital in Bereiche mit starken risikoadjustierten Renditen fliesst, während es schnell aus unterperformenden Segmenten abgezogen wird. Präzision in der Kapitalallokation ermöglicht es Banken, Kapital zeilenweise zu verschieben, um die Eigenkapitalrendite zu maximieren. Beyond-Banking- Initiativen können Banken helfen, gezielte, kapitalleichte Einnahmequellen aufzubauen und die Kundenbeziehungen zu stärken. Im Hinblick auf die Kapitaloptimierung kann KI diesen Prozess beschleunigen, indem sie Kreditprozesse automatisiert und die Datenqualität verbessert. Anstelle von M&A zur Erreichung von Skaleneffekten zielt präzises M&A darauf ab, strategische Lücken direkt zu schliessen, gezielte Fähigkeiten hinzuzufügen oder Zugang zu spezifischen Kundensegmenten zu schaffen. «Eine der Stärken des Schweizer Finanzplatzes ist der Fokus auf dem weniger kapitalintensiven Wealth Management. Die globale Stärke in Vermögensverwaltung nimmt aber im Speziellen die Schweizer Privatbanken zur Präzision ihrer strategischen Antworten in die Pflicht. Die Herausforderungen sind gross: im Wealth Management erwarten wir bis 2030 eine Umwälzung der Kundenstruktur von bis zu 30%, sei es wegen Vermögensnachfolge oder neuen Kundentypen. Aber auch die flächendeckende und effektive Umsetzung von KI über knapp 100 Privatbanken im Schweizer Sektor hinweg ist aufgrund der sehr unterschiedlichen Startpunkte und verfügbaren Mittel anspruchsvoll», so Jan Quensel.

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