Emerging Markets-Anleihen kurzfristig unter Druck, doch langfristig chancenreich

Verlangsamtes Wachstum, anhaltender Inflationsdruck und mögliche Zinserhöhungen: Emerging Markets-Anleihen sind auch 2022 komplizierten Bedingungen ausgesetzt. Es zeigt sich jedoch Licht am Ende des Tunnels.

2021 war ein schwieriges Jahr für fast alle festverzinslichen Anlagen. Für 2022 ist jedoch zu beachten, dass ein erhebliches Mass der Negativität bereits eingepreist ist. Sollten sich die eingepreisten Risiken als weniger schädlich für die Aussichten der Schwellenländer erweisen, als der Markt derzeit erwartet, dürfte die Anlageklasse in diesem Jahr deutlich bessere Renditen erzielen.

Wir sind uns der kurzfristigen Herausforderungen bewusst, vor denen Schwellenländeranleihen stehen, halten sie aber nicht für unüberwindbar. Der derzeitige Pessimismus, der in den Märkten eingepreist ist, hat die Bewertungen auf ein Niveau getrieben, das einen mehr als angemessenen Ausgleich für diese Risiken bietet.

Denise Simon, Co-Head im Emerging Market Debt-Team, Lazard Asset Management

Konkret sehe ich drei Faktoren, die dabei eine entscheidende Rolle spielen werden:

  1. Verlangsamtes Wirtschaftswachstum
    Die globalen Wachstumserwartungen sind in den vergangenen Monaten stetig gesunken. Dies hat besonders mit dem verlangsamten Wachstum in China zu tun: Das reale BIP-Wachstum der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt hat sich im Jahresvergleich von 7,9 Prozent im zweiten Quartal 2021 auf 4,9 Prozent im dritten Quartal verlangsamt. Chinas Wachstumsaussichten haben sich aufgrund von Unterbrechungen in den Lieferketten, einem stark nachlassenden Immobiliensektor, einer anhaltenden Nullzinspolitik und fortgesetzten Bemühungen zur Dekarbonisierung weiter eingetrübt. Allerdings hat sich das globale Wachstum von einem sehr hohen Niveau aus abgeschwächt. Dennoch dürfte sich die Entwicklung 2022 mit einem über dem Trend liegenden Tempo fortsetzen – sowohl in den Industrie- als auch in den Schwellenländern. Darüber hinaus könnte sich ein Teil des Gegenwinds aus dem Jahr 2021 im Jahr 2022 in Rückenwind verwandeln. Die Produktion des verarbeitenden Gewerbes dürfte sich aufgrund der sukzessiven Behebung der Lieferkettenprobleme erholen. Und dank niedrigerer Ausgaben und starker Aktienmärkte haben die Verbraucher überschüssige Ersparnisse angehäuft, die den Konsum ankurbeln könnten.

  2. Anhaltender Inflationsdruck
    Gleichzeitig zur Verlangsamung des globalen Wachstums hat die Inflation im vergangenen Jahr überraschend stark angezogen und ein Dekadenhoch erreicht. Zwar ist die Inflation in allen Ländern angestiegen, die Schwellenländer haben den Preisanstieg aber besonders hart zu spüren bekommen, da sie stärker auf Lebensmittel- und Energiepreise reagieren. Die Zentralbanken in Brasilien und Russland haben daraufhin früh und aggressiv gehandelt und damit ihre Entschlossenheit signalisiert, die Inflationserwartungen zu steuern. Die Kommunikation der Kernzentralbanken war dagegen zu diesem Zeitpunkt noch zurückhaltend. Andere, wie Mexiko, Ungarn, Chile und Polen, zogen erst später nach, haben aber inzwischen das Tempo der Zinserhöhungen beschleunigt, da die Inflation schneller als erwartet gestiegen ist. Wir rechnen mit weiteren Zinserhöhungen im Jahr 2022. Aber das Tempo und die Anzahl der Zinserhöhungen dürften nach dem ersten Quartal zurückgehen, vorausgesetzt, das Wachstum nähert sich dem Trendniveau an und die Unterbrechungen in den Lieferketten gehen weiter zurück. Ausserdem trägt die gestiegene Glaubwürdigkeit einiger eher restriktiver Zentralbanken wie der russischen Zentralbank dazu bei, die Inflationserwartungen wieder in Richtung der Zielwerte zu bringen.

  3. Zinserhöhungen der Fed
    Die Fed ist in letzter Zeit zu einer restriktiveren Haltung übergegangen, was darauf hindeutet, dass sie davon ausgeht, dass der Inflationsdruck anhaltender sein wird als bisher angenommen. Die Märkte gehen derzeit von drei Zinserhöhungen im Jahr 2022 und einer Gesamterhöhung des Leitzinses um 150 Basispunkte im Laufe der Jahre 2022 und 2023 aus. Unserer Ansicht nach besteht das grösste Risiko für die Emerging Markets 2022 darin, dass die Fed einen geldpolitischen Fehler begeht und die Zinsen genau dann anhebt, wenn sich die Wirtschaft und die Inflation abkühlen. Dies stellt angesichts der Fragilität der globalen wirtschaftlichen Erholung eine grosse Herausforderung für alle Risikoanlagen dar, einschliesslich Anlagen in Emerging Markets. Da die Märkte bereits eine Reihe von Zinserhöhungen eingepreist haben und der erwartete Endsatz bei etwa 2,25 Prozent liegt, sehen wir nur ein begrenztes Risiko für einen starken, beschleunigten Anstieg der Treasury-Renditen.

Wir sind uns der kurzfristigen Herausforderungen bewusst, vor denen Schwellenländeranleihen stehen, halten sie aber nicht für unüberwindbar. Der derzeitige Pessimismus, der in den Märkten eingepreist ist, hat die Bewertungen auf ein Niveau getrieben, das einen mehr als angemessenen Ausgleich für diese Risiken bietet. Angesichts eines stabilen US-Leitzinses und Spreads, die sowohl im historischen Vergleich als auch fundamental gesehen weit sind, dürften sich Staats- und Unternehmensanleihen aus den Schwellenländern, und insbesondere Hochzinsanleihen, gut entwickeln. Die Bewertungen von EM-Staatsanleihen erscheinen im Vergleich zu Investment-Grade-Unternehmensanleihen und auch im Vergleich zu bonitäts- und laufzeitadäquaten US-Unternehmensanleihen günstig.

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