Unternehmen betreiben mehrheitlich eine passive Personalpolitik 55+
Menschen ab 55 sind in der Schweiz trotz einer mehrheitlich passiven Personalpolitik 55+ von Unternehmen stärker in den Arbeitsmarkt integriert als noch vor zehn Jahren. Dennoch ist die Angst vor den Folgen eines Jobverlusts gegen Ende des Erwerbslebens weit verbreitet und beeinflusst die Diskussion um ein höheres Rentenalter, wie die neue Studie «Länger leben – länger Arbeit geben?» von Swiss Life zeigt.
In einer Ende April veröffentlichten Studie hat Swiss Life gezeigt, dass vor dem Hintergrund der steigenden Lebenserwartung viele Erwerbstätige ab 55 bereit wären, über das ordentliche Rentenalter hinaus zu arbeiten. «Wenn eine längere Erwerbstätigkeit eine Antwort auf ein längeres Leben ist, muss auch eine Nachfrage nach älteren Arbeitskräften seitens der Unternehmen vorhanden sein», so Markus Leibundgut, CEO von Swiss Life Schweiz. In der heute veröffentlichten Studie beleuchtet Swiss Life die Chancen und die Herausforderungen des Arbeitsmarkts 55+ in der Schweiz und die entsprechende Personalpolitik hiesiger Unternehmen.
Sonnen- und Schattenseiten des Arbeitsmarkts 55+
Bereits heute ist eine grosse Mehrheit der Bevölkerung zwischen 55 und 64 gut in den Arbeitsmarkt integriert: Die Erwerbstätigenquote ist hier mit 73% im internationalen Vergleich hoch und in den letzten zehn Jahren um 7 Prozentpunkte gestiegen. Diese Altersgruppe macht zudem einen immer bedeutenderen Anteil an der Gesamtheit aller Arbeitskräfte aus. «Ältere Erwerbstätige fühlen sich im Betrieb mehrheitlich wertgeschätzt, finanziell selbstbestimmt und sind mit ihrer Arbeitssituation zufrieden», hält Studienautor Andreas Christen basierend auf der Umfrage von Swiss Life fest. Dennoch gibt es Schattenseiten: Zwar sinkt die Wahrscheinlichkeit, mit zunehmendem Alter arbeitslos zu werden – verliert man jedoch den Job, nehmen die Chancen nach 50 stark ab, wieder eine vergleichbare Stelle zu finden.
Angst vor Jobverlust beeinflusst die Diskussion um das Rentenalter
Gemäss Schätzungen von Swiss Life scheiden 6% bis 7% der Bevölkerung aufgrund einer Entlassung oder einer betrieblich bedingten Frühpensionierung zwischen dem 55. Altersjahr und dem ordentlichen Rentenalter unfreiwillig aus dem Erwerbsleben aus. «Diese Zahl ist zu klein, um von einer systematischen Abdrängung älterer Erwerbstätiger in den unfreiwilligen Ruhestand sprechen zu können. Aber sie ist hoch genug, dass sich viele vor den Folgen eines Stellenverlusts zum Ende ihres Berufslebens fürchten», so Christen. Nur ein Viertel der von Swiss Life befragten 55- bis 64-jährigen Erwerbstätigen rechnet damit, im Falle eines Jobverlusts wieder eine vergleichbare Stelle zu finden. Dies hat auch politische Konsequenzen: Nur 30% jener Erwerbstätigen, die sich vor einem Stellenverlust fürchten, befürworten ein höheres Rentenalter eher oder klar – hingegen tun dies 46% jener, die ihren Job als sicher erachten. Je unsicherer die eigene Arbeitsstelle also wahrgenommen wird, desto eher ist man gegen eine Erhöhung des Rentenalters.
Studienautor Andreas ChristenEinige Unternehmen unterschätzen den bevorstehenden demografischen Wandel des Arbeitsmarkts.
Fehlende Personalpolitik 55+ in Schweizer Unternehmen
Von den rund 740 von Swiss Life befragten Unternehmen können sich über 70% grundsätzlich vorstellen, Personen ab 55 einzustellen, und fördern grossmehrheitlich keine Frühpensionierungen. Ausserdem geben die meisten an, dass Erwerbstätigkeit über das ordentliche Rentenalter hinaus im Betrieb grundsätzlich möglich sei. Trotzdem ist nur ein knappes Drittel der Arbeitgeber dazu bereit, auch Erwerbstätige im Rentenalter einzustellen. Und lediglich ein Viertel ergreift aktiv Massnahmen, um Mitarbeitende dazu zu bewegen, bis zum oder über das ordentliche Rentenalter hinaus erwerbstätig zu bleiben. Trotz der mehrheitlich geäusserten Bereitschaft, über 55-Jährige einzustellen, machen diese faktisch nur 7% aller Neueinstellungen aus – bei einem Anteil von 21% an allen Erwerbstätigen. Dies liegt zwar auch daran, dass ältere Erwerbstätige nur selten dazu bereit sind, die Stelle zu wechseln, wie aus der Erwerbstätigenbefragung von Swiss Life hervorgeht. Alles in allem zeigt die Studie auf, dass eine Mehrheit der Unternehmen sich zwar nicht gegen eine (möglichst lange) Beschäftigung von älteren Mitarbeitenden stellt, aber auch wenig dafür tut, um diese aktiv zu fördern. Unternehmen betreiben also mehrheitlich eine passive Personalpolitik 55+.
Pensionierungswelle verändert den Arbeitsmarkt
Rund jedes dritte befragte Unternehmen gibt an, mit Rekrutierungsschwierigkeiten konfrontiert zu sein. Diese Arbeitgeber betreiben jedoch keine aktivere Beschäftigungspolitik 55+ als diejenigen, die keine ausgeprägten Schwierigkeiten bei der Personalrekrutierung wahrnehmen. Zudem rechnet nur eine Minderheit der befragten Unternehmen damit, dass sich der Fachkräftemangel in den nächsten Jahren aufgrund von Pensionierungen verschärfen wird. «Einige Unternehmen unterschätzen den bevorstehenden demografischen Wandel des Arbeitsmarkts», so Studienautor Christen. 2030 dürfte es rund ein Drittel mehr Pensionierungen geben als im Jahr 2019. Die Erwerbsbevölkerung wächst bereits heute fast nur noch dank den über 55-Jährigen und dürfte im nächsten Jahrzehnt weniger als halb so stark zunehmen wie im Durchschnitt der letzten Dekade. «Entsprechend gehen wir davon aus, dass der Druck auf Unternehmen steigen wird, jegliches Arbeitskräftepotenzial abzuschöpfen – auch jenes der erwerbslosen, nicht erwerbstätigen oder unterbeschäftigten über 55-Jährigen», so Christen.
Überbrückungsleistungen könnten Akzeptanz eines höheren Rentenalters vergrössern
Diese Entwicklungen werden zwar nicht dazu führen, dass die Arbeitslosigkeit unter älteren Erwerbspersonen verschwindet, allerdings können viele ältere Arbeitslose dem Ruhestand finanziell künftig etwas zuversichtlicher entgegenblicken. Dazu tragen auch die im Juli 2021 eingeführten Überbrückungsleistungen bei: Sie sollen verhindern, dass ältere Ausgesteuerte Sozialhilfe beziehen müssen. Dieses nicht unumstrittene neue soziale Sicherheitsnetz dürfte die finanzielle Selbstbestimmung vieler Betroffener verbessern und könnte sich wiederum politisch auswirken: Zwar sind rund 60% der befragten Erwerbstätigen zwischen 55 und 64 gegen ein höheres Rentenalter, jedoch würden Überbrückungsleistungen bei fast der Hälfte der Ablehnenden die Akzeptanz einer Rentenalter-Erhöhung verbessern.
Die vollständige Studie «Länger leben – länger Arbeit geben?» von Swiss Life findet sich hier.