Die Staus am Gotthard sind nur Kleinkram

Auf den Schweizer Nationalstrassen standen die Autofahrer im vergangenen Jahr rund 40’000 Stunden im Stau. Dieses Jahr dürften es eher noch mehr sein. Das ist auch volkswirtschaftlich relevant.

Man reibt sich ungläubig die Augen. In Deutschland hat der Verkehrsclub ADAC errechnet, dass die Autofahrer von Ende Juni bis Mitte September alles in allem 12,6 Jahre im Stau standen – wohlgemerkt nur auf den Autobahnen und während der vergangenen Sommerferien. Das sind 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Die knapp 123'000 Stopps erreichten eine Länge von 217'000 Kilometern. Für den Stau-Anstieg macht der ADAC «Nachholeffekte» nach Corona verantwortlich. In Scharen trieb es die Ferienhungrigen auf der Suche nach Erholung, Erlebnissen und Entdeckungen in die Nachbarländer. Dass die Schweiz als Ziel nicht attraktiver war, ist zumindest in Sachen Verkehr ein Trost.

Jährlich 40’000 Stunden Stau
Wie ist die Stau-Lage hierzulande? Die Antwort interessiert in erster Linie vor dem Hintergrund des geplanten Autobahnausbaus für 5,3 Milliarden Franken und bezogen auf den ganz normalen Alltagswahnsinn. Alles in allem 40’000 Stunden standen die Autos 2022 auf den Nationalstrassen untätig herum, so das Bundesamt für Statistik. Das sind umgerechnet immerhin fast 4,6 Jahre und 23 Prozent mehr als im letzten Covid-Jahr 2021. Das Bangen vor den Autobahnauffahrten direkt in den Stau ist zurück. Allein auf der Stehstrecke A1 summierten sich die Nichts-geht-mehr-Zeiten im vergangenen Jahr auf nahezu 14’000 Stunden. Mehr Autos und das bei einer kaum verbesserten Infrastruktur: Auf diese Weise entstanden rund 85 Prozent der Staustunden in der Schweiz laut den Statistikern durch Strassenüberlastung. Die Gotthard-Route ist nur das allen ins Auge stechende Menetekel. 43 Prozent der täglichen Mobilität entspringen laut Bundesamt für Statistik den Freizeitbedürfnissen von Herrn und Frau Schweizer. Wenn sie mutlos auf die Autoschlange vor ihnen starren und auf das Lenkrad trommeln, ist das ihre Sache. Bei den 28 Prozent Pendlern sieht es schon etwas anders aus. Sie kommen im Stau-Fall verspätet, genervt und schon leicht ermattet zur Arbeit.

Allein auf der Stehstrecke A1 summierten sich die Nichts-geht-mehr-Zeiten im vergangenen Jahr auf nahezu 14’000 Stunden.

Jürgen Dunsch, Wirtschaftsjournalist

Zieht man von den jährlichen Stunden im Stau den Freizeitanteil ab, absorbieren die Stehzeiten auf den Nationalstrassen über den Daumen gepeilt rund 22’300 Stunden im Jahr. Auch diese Zahl ist hoch, sie bezeichnet einen ansehnlichen Verlust an produktiver Tätigkeit und wird durch die wachsende Staulängen mit mehr Autos noch verschärft. Mindestens ebenso so schwer wiegen die indirekten Folgen der täglichen Schlangengeburten überall im Land. Benzin- und Stromverbräuche steigen, Termine wackeln, Lieferketten werden brüchig, die Konzentration der Wagenlenker lässt tendenziell nach. Geschäftliche Telefonate im Auto tragen dazu bei. Der Ausweichverkehr rund um Staus belastet eine dafür nicht eingerichtete Infrastruktur. Und die Zeichen stehen eher auf Verschärfung der Lage denn auf Besserung, allein die Zuwanderung wird dafür sorgen.

Autos bleiben attraktiv
Das Auto als Mobilitätsgarant hat – aller Verteufelung zum Trotz – bisher nichts von seiner Attraktivität verloren. Mit einem Anteil von 69 Prozent (2021) beherrschen sie das Verkehrsgeschehen. Busse und Bahnen fahren mit 20 Prozent schlapp hinterher. Der nun geplante, punktuelle Autobahnausbau ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein. Das Auto bleibt nicht deswegen das Fortbewegungsmittel erster Wahl, weil der Verkehr danach angeblich (zu) flüssig fliesst, sondern eher infolge der immer zahlreicheren E-Varianten. In der jüngsten Verkehrsdebatte des Ständerats meinte der Mitte-Vertreter Stefan Engler, der Anteil des Strassenverkehrs am Kohlendioxid-Ausstoss werde zurückgehen, der Verkehr aber nicht. Die Prognose ist nicht allzu gewagt, Staus hin oder her.

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