Die Nominalzins-Illusion

Weltweit sind über 10 Billionen US-Dollar in Festgeldern parkiert. Schlechte Aussichten für den Vermögenserhalt. Am Aktienmarkt gibt es kein Vorbeikommen trotz der geopolitischen Unsicherheiten.

Die aktuelle Begeisterung der Anleger über die Rückkehr der Zinsen wirkt wie ein durstiger Blick auf eine trügerische Oase in der Wüste. In den letzten Jahren haben Investoren Milliarden in festverzinsliche Anlagen gelenkt, besonders in Geldmarktfonds, Tages- und Festgelder. Die europäische Sparquote liegt heute bei über dreizehn Prozent, ein Niveau, das zuletzt in der Pandemie erreicht wurde. Während die Aktienmärkte steigen, fliessen gleichzeitig enorme Mittel in nur vermeintlich sicherere Anlageformen.

Schweiz: Negativen Realzinsen
Kurzfristig mögen diese «sicheren Häfen» aufgrund globaler Unsicherheiten und geopolitischer Konflikte attraktiv erscheinen. Doch die jüngste Zinswende der Europäischen Zentralbank und der Federal Reserve sowie der disinflationäre Druck aus China schwächen ihre langfristige Anziehungskraft gegenüber Aktienmärkten erheblich ab. Die Anlagewelt zeigt sich somit ernüchternd: Die zehnjährige deutsche Staatsanleihe bietet nur eine Rendite von 2,3%, und in der Schweiz sind es sogar nur 0,4%.

Für Investoren gilt es daher, eine langfristige Strategie zu verfolgen, die auf realen – das heisst inflationsbereinigten – Renditeerwartungen basiert, und sich nicht allein durch die trügerische Sicherheit der Nominalzinsen leiten zu lassen.

Thomas Meier, Portfolio Manager, MainFirst Asset Management

Nach Abzug der Inflation bleiben Anlegern real in Deutschland nur noch 0,6%, während Schweizer Investoren sogar mit negativen Realzinsen von -0,4% konfrontiert sind. In den USA sieht das Bild ähnlich düster aus. Angesichts schwacher globaler Wachstumsprognosen, sinkender Inflationsraten und sinkender Zinsen bietet sich Anlegern ein ernüchterndes Bild – insbesondere, wenn es darum geht, das eigene Vermögen real zu erhalten. Es ist zudem davon auszugehen, dass strukturelle Faktoren wie demografische Entwicklungen, mögliche Zollkonflikte und anhaltend hohe Rohstoffpreise die Inflation künftig auf einem erhöhten Niveau stabilisieren könnten. Damit steigt das Risiko, dass sich die bisherige Anlagestrategie der Investoren als illusorisch erweist und langfristig eine Korrektur erforderlich wird, um das übergeordnete Sparziel – den Erhalt der Kaufkraft – zu erreichen.

10 Billionen US-Dollar bringen bestenfalls kleine Renditen
Vor diesem Hintergrund ist absehbar, dass Anleger ihre festverzinslichen Investments zumindest teilweise in Aktien umschichten werden. Dies gilt besonders für Geldmarktfonds und Tagesgelder. In den letzten fünf Jahren haben sich die Zuflüsse in Geldmarktfonds mehr als verdoppelt, allein in den USA sind inzwischen über 8 Billionen US-Dollar in diesen Fonds gebunden; in Europa beträgt das Volumen fast 2 Billionen Euro. Diese beachtlichen Anlagesummen, die ebenfalls hohen Bestände in Tages- und Festgeldanlagen, werden bei fortschreitender Lockerung der Geldpolitik durch die Notenbanken einem Investitionsdruck ausgesetzt sein, was den Aktienmärkten zugutekommen könnte.

Dividendentitel als Lösung für vorsichtige Anleger
Insbesondere Dividendentitel und -fonds dürften dann eine erhöhte Attraktivität gewinnen. Ihr konservativer Ansatz, gepaart mit Ausschüttungen, die über der Inflation und den Zinsen liegen, bietet Anlegern eine solide Alternative zu den klassischen Rentenpapieren. Für Investoren gilt es daher, eine langfristige Strategie zu verfolgen, die auf realen – das heisst inflationsbereinigten – Renditeerwartungen basiert, und sich nicht allein durch die trügerische Sicherheit der Nominalzinsen leiten zu lassen. Nur so lässt sich das Vermögen langfristig vor Entwertung schützen.

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