White Collar – Bonus Vir
«White Collar» ist unsere jüngste Satire-Kolumne über (Un-)Sinnigkeiten aus der Geschäftswelt. Den Auftakt macht Autor Andreas Hönger aus Aktualitätsgründen mit einem Bonusleitfaden für Bankmanager und andere Leistungs- und Verantwortungsträger in der Finanzindustrie.
Gut gibt es Boni. Diese relativ moderne Erfindung, die auf die phänomenalen Marketingkünste von sich sehr gut verkaufenden Investmentbankern in den 1970er Jahren zurückzuführen ist, hat es möglich gemacht, die Mitarbeitenden am Erfolg zu beteiligen, die Produktivität massiv zu steigern und grossartigen Mehrwert für die ganze Menschheit zu generieren, also eine bessere Welt für alle zu schaffen.
Damit dies so weitergeht und auch Sie einen angemessenen Bonus erhalten und die Welt noch ein wenig besser wird, gilt es folgende Regeln zu beachten:
- Sich zu den Bonusfestsetzern (insbesondere zum Chef) immer loyal verhalten – und zwar das ganze Jahr. Das heisst nicht zwingend, dass Sie zum Speichellecker werden müssen, aber bewegen Sie sich zur Sicherheit zumindest in diese Richtung und vermeiden Sie jegliche Kritik (die in Managementbüchern verbreitete Ansicht, kritische Mitarbeitende seien wichtig und brächten das Unternehmen weiter, können Sie beim Bonus definitiv vergessen).
- Werfen Sie wichtigen und/oder hochgestellten Stakeholdern ab und zu einen Stein in den Garten. Es kann sein, dass deren Meinung zu Ihrer Leistung bei der Bonusfestsetzung abgeholt wird.
- Im letzten Quartal vor der Bonusfestsetzung gilt, und zwar noch mehr als sonst, dass die überzeugende Präsentation mehr bewirkt als die effektive Leistung. Darum Auftritte in wichtigen Gremien planen, Zahlen tunen und wesentliche Projekte mit viel Tamtam einführen, mindestens aber – auch wenn nur vorläufig – Vorhaben von rot auf grün stellen.
- Falls Sie im letzten Jahr nichts zustande gebracht und nur im Pyjama Homeoffice gemacht haben, verkaufen Sie Erfolge von Anderen als die Eigenen. Sie werden hoffentlich Mitarbeitende haben, die etwas zum Erfolg geführt haben, das Sie verkaufen können. Falls auch Ihre Mitarbeitenden nichts Brauchbares geliefert haben, überlegen Sie, wer im Umfeld etwas Grossartiges geleistet hat oder in welchem Steuerungsausschuss eines erfolgreichen Projektes Sie sassen, und verkaufen Sie dieses Resultat als eigenen Erfolg.
- Hängt Ihr Bonus von äusseren Faktoren ab, etwa von so etwas Unfairem und Nebensächlichem wie der Börsenkapitalisierung oder dem Verkaufserfolg, machen Sie für negative Entwicklungen den Vorgänger oder schwarze Schwäne (auch imaginäre, aber jetzt natürlich Corona; selbst wenn die Kausalität fehlen sollte, wird hier niemand widersprechen) verantwortlich und zeigen Sie auf, dass es ohne Ihre ausserordentliche Leistung noch viel schlimmer gekommen wäre.
Marcus Valerius Martial, 40-103 n. Chr.Bonus vir semper tiro – Ein guter Mann bleibt ewig ein Anfänger.
- Wird Ihr Bonus aus einem grösseren, übergeordneten Bonustopf bezahlt, mindern Sie die Leistung anderer Berechtigter herab, um mehr zu bekommen. Aber Achtung: Diese Strategie ist hohe Kunst, die viel Fingerspitzengefühl erfordert, und sie kann schnell ins Gegenteil umschlagen. Schwärzen Sie gekonnt und beiläufig nur unbeliebte Peers und Wackelkandidaten an, die eine schwache Position haben. Andernfalls könnte man Sie als Denunzianten entlarven und bestrafen.
- Ziehen Sie interne und externe Vergleichsgruppen heran, selbstverständlich höhere, und verbreiten Sie Angst, dass es zu Kündigungswellen (mit Neuanstellungen bei der Konkurrenz) kommt, falls keine hohen Boni bezahlt werden.
- Machen Sie unmissverständlich klar, dass Sie unersetzlich sind. Wenn das nicht angemessen gewürdigt wird, werden Sie deutlicher, und lassen Sie nebensächlich eine Bemerkung über Ihre Kenntnisse von Geheimprojekten oder Ihnen bekannte unsaubere Geschäftspraktiken fallen.
- Heben Sie hervor, dass Sie soundso viele (möglichst in Milliarden) Kundengelder, Einsparungen, Effizienzgewinne etc. positiv beeinflusst haben und darum jeder, auch noch so hohe Bonus dagegen wie ein Trinkgeld-Klacks wirkt.
- Weisen Sie darauf hin, dass Ihr Fixsalär wegen der hohen Steuern und Fixkosten (Haus, Ferienhaus, grosse Ferien nach Corona für die grosse Familie, Alimente an Ex-Ehefrau(en) und Kinder, neue Ehefrau samt neuen Kindern, etc.) nicht genügt. Achten Sie dabei darauf, dass Sie nur hohe Verpflichtungen nennen, Kleinbeträge für Ihre Gehaltsklasse wie Restaurantkosten, Kinderkrippe, Hypotheken, Krankenkassenbeiträge und dergleichen könnten als fehlende Grösse und Erbsenzählerei negativ aufgefasst werden.
- Betonen Sie die Bedeutung des Bonus’ für die zukünftige Motivation, und machen Sie dabei klar, dass sie vorwiegend intrinsisch hochmotiviert sind, der Bonus aber eben die zusätzliche Extrameile ermöglicht und ein zu tiefer Bonus sowohl Ihre intrinsische als auch die extrinsische Motivation empfindlich schwächen würde.
Und denken Sie daran: Bonus vir semper tiro – Ein guter Mann bleibt ewig ein Anfänger (Marcus Valerius Martial, 40-103 n.Chr.). Immer dranbleiben, denn die nächste Bonusrunde ist schneller da als gedacht.