Zinsmärkte spielen verrückt

Können Sie sich noch daran erinnern, als die Rendite der 10-jährigen US-Treasury Note innert weniger Wochen um mehr als 1% gestiegen ist und sich unaufhaltsam der Marke von 5% näherte? An die Zeit, als die Aktienmärkte taumelten, weil weitherum vor noch deutlich höheren Zinsen gewarnt wurde?

Ein allzu gutes Langfristgedächtnis benötigen Sie dazu nicht, hat sich das Ganze doch vor nur einem Monat abgespielt. Der 10-jährige Treasury hat kurz die 5% erreicht. Seither gingen die Zinsen nur noch zurück und seine Rendite ist wieder bei 4.20%. Während man bei den Vorgängen in den USA noch mit den hohen Zinsen argumentieren kann und die Erwartung, dass die Fed innert Jahresfrist den Leitzins auf ein konjunkturverträglicheres Niveau senken wird, realistisch ist, fehlen uns für die Zinsentwicklung in der Schweiz die Worte.

Die Warnung von Thomas Jordan, dass die SNB die Zinsen weiter anheben wird, wenn sie es als richtig erachtet, liegt völlig quer in der Marktlandschaft.

Thomas Stucki, Chief Investment Officer, St.Galler Kantonalbank

Die Zinsen in der Schweiz haben den Anstieg in den USA nicht mitgemacht, den Rückgang danach aber schon. Über alle Laufzeiten liegen die Swapsätze massiv unter dem aktuellen Leitzins der SNB von 1.75%. Die Warnung von Thomas Jordan, dass die SNB die Zinsen weiter anheben wird, wenn sie es als richtig erachtet, liegt völlig quer in der Marktlandschaft. Der «Markt» erwartet vielleicht schon im nächsten März, aber dann sicher im Juni die erste Zinssenkung der SNB. Im September wird die SNB nachdoppeln und den zweiten Zinsschritt nach unten folgen lassen, so die Erwartung.

Hartnäckige Inflation
Die zweijährigen Zinsen sind bei 1.20%, mehr als ein halbes Prozent unter dem Leitzins. Das impliziert, dass die SNB schon bald wieder Zinsen unter 1.00% beschliessen wird, obwohl sie in ihrer Inflationserwartung vom September auf Jahre hinaus die Inflation am oberen Ende ihres Zielbandes sieht. Deutlich negative Realzinsen wären die Folge. Negative Realzinsen machen ökonomisch nur dann Sinn, wenn eine starke und anhaltende Deflation droht oder die Wirtschaft sich in einer tiefen Rezession befindet. Beides ist nicht der Fall. Die Inflation verharrt wie erwähnt hartnäckig im oberen Bereich des SNB-Zielbandes über 1.5%. Angesichts des weit verbreiteten Personalmangels ist eher mit höheren Löhnen als einer stark steigenden Arbeitslosigkeit zu rechnen. Das mindert den Inflationsdruck auch nicht. Die Konjunktur schwächt sich ab und Teile der Industrie sind mit einem Einbruch der Aufträge konfrontiert. Die Schweizer Wirtschaft wächst aber dank einem stabilen Konsum immer noch, wie die Daten des dritten Quartals mit einem BIP-Wachstum von 0.3% zeigen. Das ist nicht alle Welt, aber auch kein Grund für eine stark expansive Geldpolitik.

Kaum Zinssenkungspotenzial in der Schweiz
Am Schweizer Kapitalmarkt prallen aktuell zwei weit verbreitete Börsenweisheiten aufeinander: «Der Markt hat immer recht» gegen «Don’t fight the SNB». Ich halte mich an das zweite. Es gibt für die SNB keinen Grund, rasch ihren Leitzins zu senken, der mit 1.75% nicht auf einem konjunkturbremsenden Niveau ist. Die Zinsdifferenz zum US-Dollar oder zum Euro ist so gross, dass die SNB bei einer Zinssenkung der Fed oder der EZB nicht nachziehen muss. Zudem wäre es leichtfertig, das nach fast einem Jahrzehnt endlich wieder aufgebaute Zinssenkungspotenzial voreilig zu verschwenden. Die Kapitalmarktzinsen in der Schweiz werden wieder steigen, wenn der Markt realisiert, dass er für einmal nicht recht gehabt hat.

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