Reto Ringger: «Der Umbau unserer Wirtschaft könnte der ‘Investment Case of our Lifetime’ sein.»

Reto Ringger gilt auf dem Schweizer Finanzplatz zu Recht als Pionier. 1995 haben er und seine Mitstreiter den weltweit ersten nachhaltigen Vermögensverwalter SAM (Sustainable Asset Management) gegründet und mit Dow Jones den Sustainability Index aufgebaut. Im Jahr 2011 folgte die Gründung der Globalance Bank. In einem aktuellen Whitepaper propagiert er einen «besseren» Kapitalismus. Was er darunter versteht und wie er generell zu Regulierungsfragen steht, ergründen wir im Interview.

Reto Ringger, Globalance hat unlängst ein Whitepaper mit dem Titel «Be a Better Capitalist aufgelegt. Darin stellen Sie den ökonomischen Gewinn einer Geldanlage in einen Zusammenhang mit dem ökologischen Gewissen der Anleger. Ist das eine mit dem anderen überhaupt vereinbar?

Reto Ringger:
In den 90-er Jahren war das Mantra «People, Profit, Planet» gesellschaftlicher Konsens. Und ja, der Kapitalismus hat insbesondere in den beiden Bereichen «People» und «Profit» seine positive Wirkung entfaltet. Es geht den Menschen heute in weiten Teilen der Welt in Punkto Gesundheit, Bildung und Wohlstand besser denn je. Komplett verfehlt hat der Dreiklang seine Ambition in der dritten Dimension: Unsere Lebens- und Wirtschaftsgrundlage ist komplett übernutzt und auf der Strecke geblieben. Wir beuten unseren Planeten aus, verändern das Klima- und Ökosystem mit negativen Konsequenzen und haben in den letzten 50 Jahren ausgeblendet, dass unsere Wirtschaft auch auf einer intakten Umwelt basiert. Jetzt müssen wir Umdenken. Was dabei oft nicht gesehen wird: der notwendige technologische Umbau unserer Wirtschaft birgt enorme Chancen für Anleger, ich würde in diesem Zusammenhang sogar von einem «Investment Case of our Lifetime» sprechen. Die Antwort auf Ihre Frage lautet deshalb klar ja.

Sie setzen auf den technologischen Wandel, obwohl noch nicht klar ist, welche Technologien sich am Ende durchsetzen werden. Wäre es nicht zielführender, in etablierte Geschäftsmodelle zu investieren und den Umbau der Wirtschaft über den Dialog mit den Unternehmen einzufordern?

Natürlich betätigen wir uns auch als aktiver Investor und sprechen mit grossen Unternehmen. Unsere Aktivitäten sind im Globalance Engagement Report nachvollziehbar. Und ja, auch das ist ein möglicher Weg. Wir verstehen uns aber als Investment Manager und müssen uns deshalb fragen, welche Themen und Wirtschaftsbereiche die Renditetreiber von morgen sind. Zahlreiche etablierte Geschäftsmodelle sind überaltert und haben aus unserer Sicht ausgedient. Sie sind nicht mehr zukunftstauglich. Wir fokussieren deshalb in unserem Anlage-Universum auf innovative Unternehmen und neue Technologien.

Wir beuten unseren Planeten aus, verändern das Klima- und Ökosystem mit negativen Konsequenzen und haben in den letzten 50 Jahren ausgeblendet, dass unsere Wirtschaft auch auf einer intakten Umwelt basiert. Jetzt müssen wir Umdenken.

Reto Ringger, Gründer und CEO von Globalance

Ein grosses Problem von «grünen» Anlagen ist der Mangel an zuverlässigen ESG-Daten: Verschiedene Rating-Agenturen messen und bewerten die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen unterschiedlich – und widersprechen sich gegenseitig. Wie gehen Sie bei Globalance damit um?

Ja, im Datenbereich herrscht in der Tat eine grosse Konfusion – und zwar auf der Anleger- wie auf der Investorenseite. Die meisten Rating-Agenturen gewichten nämlich aus Compliance-Überlegungen Finanzrisiken und nicht etwa die positiven Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen, was Anleger oft falsch interpretieren, da sie Letzteres annehmen. Und Investoren wie wir, die einen renditeorientierten Business Case verfolgen, sind auf ökonomische und performance-relevante Daten angewiesen, die in einem ESG-Kontext Sinn machen. Daher wählen wir aus verschiedenen Datenanbietern die für uns besten Daten aus und integrieren diese in unseren Anlageprozess. In Bezug auf Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit bleibt den Anlegern nur die Hoffnung, dass die Rating-Agenturen sich über die Zeit inhaltlich annähern werden.

Der grösste Hebel um Kapital in nachhaltige Investitionen zu lenken, liegt bekanntermassen bei den Institutionellen Anlegern. Schweizer Pensionskassen verwalten ein Milliardenvermögen, kämpfen aber aus strukturellen und regulatorischen Gründen mit dem ESG-Thema. Wie lässt sich dieses Dilemma lösen?

In der kleinen Schweiz agieren rund 1'300 Pensionskassen verschiedener Grössen und mit unterschiedlich ausgeprägtem ESG-Wissen und Know-how am Markt – zum Vergleich: in Schweden finden sich lediglich sieben Anbieter in diesem Segment. Damit wird klar, dass die ESG-Expertise, gerade bei kleinen und kleineren Schweizer Pensionskassen, auch aus Kapazitätsgründen teilweise noch wenig ausgeprägt ist. Deshalb wäre es richtig und wichtig, das ESG-Thema auch im Institutionellen Segment zu vereinfachen. Einerseits könnte dadurch deutlich mehr Kapital in die richtige Richtung bewegt werden. Anderseits würden die Kostenstrukturen der einzelnen Anbieter transparent und vergleichbar. Aber ich befürchte, dass die Etablierung einheitlicher Standards in der Pensionskassenwelt eine Utopie bleibt, denn aus Wettbewerbsgründen haben die Akteure aktuell kein ein echtes Interesse daran.

Greenwashing ist in der Finanzindustrie bekanntermassen ein Problem. Weniger bekannt ist der Begriff des «Brownwashing», der Versuch von Unternehmen, die tatsächlichen negativen Umweltauswirkungen im eigenen Wirkungskreis durch falsche oder überzogene Umweltversprechen zu vertuschen oder herunterzuspielen. Wie sind Ihre Beobachtungen zu diesem Phänomen?

Wir beobachten kaum entsprechende Brownwashing-Aktivitäten, sondern sehen eher, wie Unternehmen das Gegenteil, nämlich «Green Hushing» betreiben. Es werden also Klima- und Umweltschutzmassnahmen bewusst verschwiegen oder nicht in den Vordergrund gestellt, um Greenwashing-Vorwürfen präventiv entgegenzuwirken. Ich plädiere deshalb an dieser Stelle für eine gewisse Fehlertoleranz, denn wir dürfen nicht vergessen, dass wir immer noch am Anfang eines enormen Strukturwandels stehen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Fehler passieren. Wenn wir diese nicht zulassen oder immer gleich reflexartig Betrugsabsichten unterstellen, verzögert sich der dringend notwendige Umbau unserer Wirtschaft unnötig – und die Zeit haben wir nicht.

Was wir in Europa mit der EU-Taxonomie sehen, ist der Sache nur bedingt förderlich. Hier werden ideologische und politische Ziele vermengt.

Reto Ringger

Was halten Sie von den zahlreichen Regulierungsinitiativen, die im ESG-Bereich bereits etabliert wurden?

So viel vorweg: Ich bin kein genereller Gegner von Regulierungsinitiativen und ein Befürworter einer transparenten ESG-Berichterstattung, sofern die Rahmenbedingungen ausgewogen und klug ausgestaltet sind. Was wir aber in Europa mit der EU-Taxonomie sehen, ist der Sache nur bedingt förderlich. Hier werden ideologische und politische Ziele vermengt. Der Schweizer Weg mit beispielsweise den «Swiss Climate Scores» erscheint mir deutlich zielführender. Regulierung ist dann gut, wenn damit ein übergeordnetes Ziel erreicht werden kann und für einen Finanzplatz im globalen Wettbewerb keine Nachteile entstehen. Darüber hinaus kann jeder Finanzplatz – wie das zum Beispiel Singapur macht – eine Strategie definieren und sich dadurch Wettbewerbsvorteile verschaffen.

Und wo steht der Schweizer Finanzplatz am ESG-Thema im globalen Vergleich?

Es gab eine Zeit, da waren wir thematische Vorreiter. Inzwischen muss man konstatieren, dass speziell die Holländer oder die Franzosen viel Boden gut gemacht haben. Gerade in Frankreich hat die verschärfte Regulierung der Pensionskassen dazu geführt, das französische Banken enorme Investitionen in ESG-Daten oder in Research-Aktivitäten getätigt haben, die sich jetzt auszahlen. Meines Erachtens wäre es darum an der Zeit für den Schweizer Finanzplatz, einen Masterplan zu definieren, damit wir global den Anschluss nicht verlieren.

Abschlussfrage: Ist der Kapitalismus nun gut oder schlecht für das Klima?

Als ich dereinst an der Universität Zürich studiert habe, wurde uns vermittelt, dass Arbeit, Boden und Kapital die wesentlichen Produktionsfaktoren sind. Saubere Luft, intaktes Klima, Biodiversität etc. wurden als freie Güter definiert. Man konnte sie also kostenlos nutzen und sogar ohne Kostenfolge verschmutzen. Heute stellen wir fest, dass unsere Umwelt oder das Klima der Garant für unseren künftigen Wohlstand und damit auch für unser Wohlergehen ist. Wenn wir es schaffen, den bisher erfolgreichen Kapitalismus, um dieses neue Narrativ zu ergänzen und die Kapitalströme entsprechend umzulenken, bleibt der Kapitalismus eine Erfolgsgeschichte – und unser Klima intakt.