Die Zeichen stehen auf Rezession

Die Finanzmärkte haben sich im ersten Halbjahr 2023 überraschend gut entwickelt. Fast alle Anlageklassen konnten zulegen. Damit nehmen die Märkte eine sanfte Landung der Wirtschaft sowie baldige Zinssenkungen vorweg. Die Anlagestrategen von Raiffeisen Schweiz warnen aber vor zu viel Optimismus, denn die starke Zinswende wirkt sich zunehmend auf die Konjunktur aus und die Rezessionsrisiken sind weiter gestiegen. Die Notenbanken befinden sich in einer zunehmend schwierigen Lage.

«Die Inflation hat zwar ihren Höhepunkt hinter sich, allerdings bleiben die Kernraten vielerorts hartnäckig über den Inflationszielen der Notenbanken. Deshalb müssen die Notenbanken ihre restriktive Geldpolitik wohl noch für eine längere Zeit fortführen», sagt Matthias Geissbühler, Chief Investment Officer (CIO) von Raiffeisen Schweiz. Die massive Zinswende hinterlässt derweil zunehmend Spuren in der Wirtschaft. Aufgrund von Sondereffekten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wirkt die restriktivere Geldpolitik mit einer grösseren Verzögerung als normalerweise. «Einerseits hatten die Unternehmen Ende 2022 noch volle Auftragsbücher, da sie ihre Bestellungen aufgrund der Lieferverzögerungen nicht abarbeiten konnten. Andererseits machte sich beim Konsum die erhöhte Sparquote stabilisierend bemerkbar. Diese Effekte fallen nun zunehmend weg», erklärt Geissbühler. Die konjunkturellen Vorlaufindikatoren, insbesondere diejenigen für die Industrie, senden mittlerweile deutliche Rezessionssignale aus. Raiffeisen rechnet deshalb mit einer weiteren Abschwächung des globalen Wachstums in den kommenden Quartalen. Die Rezessionsrisiken sind hoch.

Anleihen sind attraktiv
Aufgrund des starken Zinsanstiegs der vergangenen Monate verorten die Anlagestrategen interessante Anlagechancen bei Anleihen. Zwar dürften die Leitzinsen noch für eine längere Zeit hoch bleiben, allerdings werden die Notenbanken voraussichtlich im Sommer ihre Erhöhungszyklen abschliessen. «Auf den aktuellen Zinsniveaus sind solide Staats- und Unternehmensanleihen attraktiv und in diversifizierten Portfolios wieder eine interessante Anlagealternative», meint Geissbühler. Der Fokus liegt dabei klar auf qualitativ hochstehenden Investment-Grade-Anleihen. Bei Hochzinsanleihen mahnen die Anlagestrategen hingegen weiterhin zur Vorsicht. Die Kreditaufschläge würden die erhöhten Rezessionsrisiken zu wenig reflektieren.

Die konjunkturellen Vorlaufindikatoren, insbesondere diejenigen für die Industrie, senden mittlerweile deutliche Rezessionssignale aus.

Matthias Geissbühler, Chief Investment Officer, Raiffeisen

Risiken an den Aktienmärkten
Die Aktienmärkte nehmen nach Einschätzung von Geissbühler ein zu optimistisches Szenario vorweg. Insbesondere die Gewinnschätzungen für das laufende Geschäftsjahr sowie für 2024 sind aufgrund der deutlichen Konjunkturabschwächung zu hoch. Die gegenwärtigen Börsenavancen sind zudem nicht breit abgestützt. «Der Aufschwung wird nur von wenigen Aktien getragen, deren Bewertungen deutlich gestiegen sind. Der Hype um das Thema Künstliche Intelligenz hat insbesondere die grossen US-Technologiewerte beflügelt», gibt der Raiffeisen-Anlagechef zu bedenken. In der zweiten Jahreshälfte verortet Raiffeisen für die Aktienmärkten deshalb nicht mehr viel Aufwärtspotenzial und es ist mit temporären Rücksetzern zu rechnen. Präferiert werden Titel aus defensiven Sektoren wie Nahrungsmittel, Gesundheit und Konsumgüter für den täglichen Verbrauch. Dies spricht im globalen Kontext grundsätzlich für den Schweizer Aktienmarkt. Wichtig ist dabei eine gute Titelselektion. «Im zweiten Halbjahr dürften die Aktienmärkte nicht mehr in der Breite Rückenwind verspüren. Mit einer guten Aktienauswahl kann man aber auch in einem schwächeren oder seitwärts tendierenden Markt Rendite erwirtschaften», erklärt Geissbühler.

Gold und Immobilienfonds als Beimischung
Der Goldpreis ist im ersten Halbjahr 2023 um fünf Prozent gestiegen. Insbesondere die hohe Nachfrage der Notenbanken stützt derzeit den Preis. Hinzu kommt die Funktion als Inflations- und Krisenschutz. Aus Diversifikationsgründen empfehlen die Anlagestrategen von Raiffeisen weiterhin eine Übergewichtung beim Edelmetall. Auch Schweizer Immobilienfonds bleiben eine attraktive Portfolio-Beimischung. «Die Agios sind im vergangenen Jahr stark zusammengeschmolzen. Da wir in der Schweiz weiterhin von einem robusten Immobilienmarkt ausgehen, sind Immobilienfonds mit Schwerpunkt Wohnliegenschaften kaufenswert», erläutert Geissbühler. Zudem winken Ausschüttungsrenditen von rund 2,5 Prozent.

Anspruchsvolles zweites Halbjahr
Nach der sehr positiven ersten Jahreshälfte 2023 droht den Finanzmärkten zunehmend konjunktureller Gegenwind. Dies dürfte zu erhöhten Schwankungen an den Börsen führen. «In der zweiten Jahreshälfte wird die Volatilität wieder steigen. Es empfiehlt sich, auf eine breite Diversifikation über verschiedene Anlageklassen zu setzen. Innerhalb der einzelnen Anlageklassen sollte der Fokus verstärkt auf die Titelselektion gelegt werden. Firmen mit soliden Bilanzen und krisenerprobten Geschäftsmodellen sind vorzuziehen. Insbesondere in rezessiven Phasen setzt sich Qualität immer durch», fasst Geissbühler zusammen.

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