Jean-Daniel Laffely: «Ich wollte Lehrer oder Statistiker werden. Ich bin nicht weit davon entfernt!»
Es existieren nur wenige Schweizer Versicherungsgesellschaften, die wie die Vaudoise auf eine über 100-jahrige Unternehmensgeschichte zurückblicken können. Zu den grössten Herausforderungen in der Versicherungsbranche zählen sicherlich die digitale Transformation und die Erwartungen bezüglich nachhaltiger Entwicklung, auf die CEO Jean-Daniel Laffely, der 2020 auf Philippe Hebeisen folgte, Antworten finden muss.
Jean-Daniel Laffely, Sie bekleiden seit rund 16 Monaten die CEO-Rolle der Vaudoise, sind für das Unternehmen aber schon seit 15 Jahren in verschiedenen Leitungsfunktionen tätig. Wie hat sich das Versicherungsgeschäft in dieser Zeit verändert?
Jean-Daniel Laffely: Die auffälligsten Veränderungen sind, dass die Kunden höhere – und berechtigte – Erwartungen an die Dienstleistungen haben. Zudem hat die Regulierung der Märkte und des Versicherungssektors stark zugenommen. Vor zehn Jahren wurde uns gesagt, dass im Jahr 2020 der gesamte Fahrzeugbestand durch selbstfahrende Autos ersetzt werden würde. Man sieht, dass wir heute weit davon entfernt sind. Doch die Makrotrends sind da, und die Versicherer müssen sich anpassen. Ausserdem sehe ich heute auch einen ausgeprägteren Kooperationsgeist: Wir streben nach flexibleren Lösungen, Partnerschaften, Ökosystemen, und Kooperationen von Akteuren aus anderen Sektoren wie jetzt mit Migros, Valiant oder im Bereich der Vorsorge.
Wie sieht gemäss Ihrer Einschätzung die Versicherungslandschaft in der Schweiz in zehn Jahren aus?
Ich habe keine Kristallkugel. Die Digitalisierung der Dienstleistungen ist jedoch ein starker Trend in der Versicherungsbranche. Die Ökosysteme werden noch mehr an Bedeutung gewinnen und dies wird neue Chancen und Märkte erschliessen.
Was sich über die Zeit mit Sicherheit verändert hat, ist das globale Klima und damit verbunden die wetterbedingen Schadenereignisse in unseren Breitengraden. Worauf müssen sich die (Schweizer) Versicherungskunden vor dem Hintergrund des anhaltenden Klimawandels einstellen?
Gerade bei der Deckung von Naturschäden ist es wichtig, keine Kompromisse einzugehen und die richtige Versicherungssumme zu wählen. Man sollte sich individuell für seinen «schwarzen Schwan» absichern. In der Vergangenheit haben wir bereits schwere Regenfälle mit Erdrutschen erlebt. Was wir heute erleben, ist eine der Folgen der globalen Erwärmung. Da es sich um globale Risiken handelt, muss auch nach globalen Lösungen (Pooling) gesucht werden. Bei der Vaudoise verfolgen wir diese Diskussionen aufmerksam, um Lösungen zu finden. Um einen konkreten Einfluss auszuüben, hat die Vaudoise eine Nachhaltigkeitsstrategie 2020 entwickelt. Eines unserer Ziele ist es, unseren ökologischen Fussabdruck zu reduzieren.
Jean-Daniel Laffely, CEO, Vaudoise VersicherungenEs wird oft gesagt, dass die Vaudoise der kleinste der grossen Schweizer Versicherer ist, aber der grösste der kleinen. Vielleicht schützt uns diese weniger exponierte Position vor Menschen mit wenig Integrität.
Die Vaudoise hat die CO2-Emissionen ihres Immobilienportfolios seit 2014 um 25 Prozent gesenkt. Reicht das oder liegt Ihr Ambitionslevel höher?
Als solidarischer Versicherer mit genossenschaftlichen Wurzeln haben wir 2019 die UN Principles for Responsible Investment (PRI) unterzeichnet. Nach der Veröffentlichung unserer Nachhaltigkeitsstrategie im Jahr 2020 sind heute bereits 80 Prozent unserer Investitionen nachhaltig. Die Strategie zielt darauf ab, die Auswirkungen unserer Geschäftstätigkeit auf das Klima zu verringern und auf den positiven Massnahmen aufzubauen, die wir bereits ergriffen haben. Wir spielen eine wichtige Rolle als Versicherer, aber auch als Investor, Arbeitgeber und gesellschaftlicher Akteur. Unsere Ziele, die sich an den Pariser Vereinbarungen orientieren, sind anspruchsvoll, aber realistisch.
Anderes Thema: Im Verwaltungsrat der Vaudoise sind von neun Mitgliedern gerade einmal zwei weiblichen Geschlechts. Und in der zehnköpfigen Direktion findet sich eine einzige Frau. Ein zeitgemässer Geschlechtermix in den obersten Führungsgremien sieht anders aus, oder?
Wir müssen und wollen besser werden, das ist klar! Diese Art von Veränderung sollte jedoch nicht nur auf den Führungsebenen stattfinden, wo sie besser sichtbar ist. Es muss sich um eine grundsätzliche Strategie handeln. Bei der Vaudoise haben wir konkrete Massnahmen in diese Richtung ergriffen und die Zahl der Frauen in Management- und Führungspositionen ist deutlich gestiegen. Ich setze mich stark dafür ein, dass wir im Bewerbungsverfahren über alle Stufen und Positionen hinweg weibliche Kandidatinnen haben.
Apropos Führungseben: In der Finanzindustrie, und da speziell in der Bankenwelt, sorgen einzelne Verantwortungsträger immer wieder für unschöne Schlagzeilen aufgrund ihres unrühmlichen Verhaltens. Was läuft in der Selektion von verantwortungsbewussten und integren Führungskräften schief? Wie stellen Sie bei der Vaudoise sicher, dass nebst der fachlichen Qualifikation auch die persönliche Integrität von Verantwortungsträgern hinterfragt bzw. sichergestellt wird?
Bei der Vaudoise sitzen die Führungskräfte nicht im Elfenbeinturm, sondern sind den Unternehmenswerten «nah», «menschlich» und «vertrauenswürdig» treu. Es wird oft gesagt, dass die Vaudoise der kleinste der grossen Schweizer Versicherer ist, aber der grösste der kleinen. Vielleicht schützt uns diese weniger exponierte Position vor Menschen mit wenig Integrität.
Welches ist Ihr Leitmotiv als CEO? Was treibt Sie an?
Die Vaudoise ist ein grossartiger, sehr solider Konzern, der auf eine über 125-jährige Geschichte zurückblicken kann und dessen Mitarbeitende ein sehr hohes Engagement zeigen. Meine Motivation ist es, den Aufstieg der Gruppe fortzusetzen und dabei unsere Werte zu respektieren, die Teams zu vereinen sowie lösungs- und kundenorientiert zu handeln. Kurz gesagt, gemeinsam handeln, um gemeinsam glücklich zu sein.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Welchen Berufswunsch hatten Sie als Teenager?
Ich wollte Lehrer oder Statistiker werden. Ich bin nicht weit davon entfernt!