Nachhall des Russland-Ukraine-Konflikts

Steht ein Spieler mit dem Rücken zur Wand, werden seine Wetten immer riskanter. Das Militär nennt es vertikale Eskalation, wenn eine Partei durch immer aggressivere Schritte einen Ausweg sucht.

Russland steht mit dem Rücken zur Wand und ist mit schweren Sanktionen und vorerst sehr begrenzter Unterstützung aus China konfrontiert. Wenn die Importe nach Russland mit der Zeit teurer und weniger werden, wird die Bevölkerung wahrscheinlich zunehmend unzufrieden werden. Das wird die Regierung zwingen, ein neues Narrativ zu finden. Die US-Regierung spekuliert auf den Einsatz nichtkonventioneller Waffen, während der Markt auf das Beste hofft, nämlich den Beginn ernsthafter Verhandlungen. Im Wesentlichen glaubt der Markt, dass Russland nachgeben und in der Ukraine einen Kompromiss finden wird. Je länger Russland wartet, desto stärker wirken sich die Sanktionen aus und desto höher werden die Zinssätze steigen. Das deutet darauf hin, dass der Markt wahrscheinlich zu Recht vorsichtig optimistisch ist. Tatsächlich kündigte Russland das begrenztere Ziel an, die Donbass-Region zu «befreien». Die Frage ist nun, ob Russland den Neutralitätsanspruch der Ukraine akzeptieren wird.

Eurozone – Stabilisierung festverzinslicher Wertpapiere
Die europäische Wirtschaft soll in diesem Jahr um 3,3% und im nächsten um 2,5% wachsen. Das Risiko besteht darin, dass die Haushalte in den kommenden Wochen auf Schlagzeilen über den Krieg in der Ukraine und deutlich höhere Ölpreise überreagieren. Einiges davon zeigt sich beispielsweise bereits im Einbruch der deutschen Wachstumserwartung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Dieser Schock dürfte dann aber ebenso wie der über höhere Zinsen in der Peripherie abklingen.

Je länger Russland wartet, desto stärker wirken sich die Sanktionen aus und desto höher werden die Zinssätze steigen.

Sébastien Galy, Senior Macro Strategist, Nordea Asset Management

Die EZB ist mit dem steigenden Risiko einer Lohninflation konfrontiert, da Haushalte, die von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck leben, den Arbeitsplatz wechseln oder höhere Löhne verlangen. Das bedeutet, dass der Markt ab Q3, wenn das Asset Purchase Programme (APP) der EZB – ein erweitertes Programm zum Ankauf von Vermögenswerten – endet, mit einem schnelleren Tempo der Zinserhöhungen rechnet. Das ist ein heikles Unterfangen für die EZB, da die Eurozone auch einen Angebotsschock durch erhöhte Energiepreise und den Verlust des Zugangs zum russischen Markt erleidet. Umgekehrt sollten die US-Nachfrage und die chinesische Nachfrage robust sein. In einem vorsichtigeren Risikoumfeld stehen die Chancen gut, dass europäische festverzinsliche Wertpapiere ein zunehmendes Angebot von High Yield aus der europäischen Peripherie finden werden. Gleichzeitig sind europäische Aktien attraktiv bewertet.

USA – Überhitzung
In den Vereinigten Staaten besteht die Sorge, dass die Fed zu lange hinter der Kurve bleiben wird, was sie zu einer übermässigen Straffung zwingen und das Risiko einer Rezession heraufbeschwören könnte. Die Geschichte deutet darauf hin, dass dies in der Regel der Fall ist, da die Dynamik eines ungewöhnlich heissen Arbeitsmarktes schwer vorherzusagen ist. Der Unterschied besteht diesmal darin, dass uns die Zwischenwahlen bevorstehen, für die die Inflation ein wichtiges Thema ist. Dies bedeutet, dass die Fed wahrscheinlich noch eine Weile versuchen wird, der Kurve voraus zu sein, und dies möglicherweise mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen fortsetzen wird. Der finale Zinssatz sollte also steigen. Doch vieles ist bereits eingepreist. Dies impliziert reichlich Chancen bei festverzinslichen Wertpapieren und eine gewisse Vorsicht bei Aktien (z.B. Wachstumsstil), wo die Bewertungen teuer bleiben. Aktien gehen im Gegensatz zu festverzinslichen Wertpapieren von einem langen und reibungs- losen Wachstumspfad aus.

Hauptbildnachweis: Pixabay