Die «Nachlassstundung» wird fälschlicherweise oftmals mit einem Konkurs gleichgesetzt

Eine aktuelle Umfrage des Beratungsunternehmen Alvarez & Marsal (A&M) zur Nutzung des Schweizer Sanierungsverfahrens, resp. der sogenannten «Nachlassstundung» zeigt u.a., dass das Verfahren nach wie vor als Konkurs stigmatisiert wird und in der Geschäftswelt nur wenig bekannt ist. Erschwerend hinzu kommt eine ungünstige Verfahrensbenennung.

Was viele Geschäftsinhaber nicht wissen: Die Nachlassstundung bietet finanziell angeschlagenen Unternehmen Schutz vor Gläubigern, Zeit und wertvolle Mittel zur Restrukturierung und Reorganisation und ist zur Durchführung sogenannter «Pre-Pack M&A-Transaktionen» relevant. Dennoch hat eine aktuelle Umfrage ergeben, dass die Zahl der Unternehmen, welche die Nachlassstundungen in Anspruch genommen haben, im Jahr 2021 nur 1,6% der Unternehmensinsolvenzen ausgemacht hat (1,5% im Jahr 2020 und 1,6% im Jahr 2019), was im Vergleich zu anderen Märkten sehr niedrig ist.

Hohe Erfolgsquote von bis zu ca. 60% könnte viele Unternehmen und Arbeitsplätze retten
Unternehmen, die 2019, 2020 und 2021 in eine Nachlassstundung eingetreten sind, hatten eine Erfolgsquote von 58%, 54% bzw. 33% bei der Suche nach Lösungen für ihre Unternehmen oder einzelner Geschäftsbereiche (d.h. Sanierung im weiteren Sinne) und somit bei der Erhaltung der damit verbundenen Arbeitsplätze. Die 2019 eingeleiteten Sanierungsverfahren sind abgeschlossen, aber viele der 2020 und 2021 eingeleiteten Verfahren noch nicht, was die vorläufig niedrigeren Erfolgsquoten in den Jahren 2020 und 2021 erklärt. Betrachtet man die Erfolgsquote von 58% im Jahr 2019 als Referenzjahr, so könnten Schweizer Unternehmen oder deren Betriebsteile, die sich in einer finanziellen Notlage befinden, welche unter anderem durch die steigenden Zinsen, Inflation, Engpässe in der Lieferkette und die jüngste Energiekrise verursacht wird, ihre Erfolgschancen bei der Sicherung ihrer Zukunft erhöhen.

Trotz der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie bleibt das Nachlassverfahren nur wenig genutzt, da das Instrument mit dem Stigma des Konkurses assoziiert wird, das Bewusstsein für das Instrument und seine Vorteile fehlt und verschiedene staatliche Hilfsmassnahmen gegen Covid-19 Schweizer Unternehmen unterstützen. Zum Vergleich: In den USA machten die Anträge auf ein Insolvenzverfahren nach Chapter 11 – ein vergleichbares Instrument – im Jahr 2020 rund 22% aller Insolvenzverfahren aus. Tobias Fritsche, Associate Director bei Alvarez & Marsal, sagt dazu: «Viele Experten erwarten für das laufende Jahr und die Folgejahre einen Nachholeffekt bei den Unternehmensinsolvenzen, die sich aufgrund der Pandemie und der damals verfügbaren staatlichen Hilfen verzögert haben. Vor diesem Hintergrund ist es essenziell, dass die Unternehmen alle verfügbaren Sanierungsoptionen und deren bestmögliche Umsetzungsvariante prüfen. Unsere Studie über das Schweizer Nachlassverfahren enthält exklusive Informationen über Fallzahlen und leistet damit einen wertvollen Beitrag zur allgemeinen Diskussion über die weitere Verbesserung der Schweizer Sanierungslandschaft.»

Da oft zu spät und nicht entschlossen genug gehandelt wird, anstatt proaktiv Sanierungspläne zu entwerfen und umzusetzen, bspw. durch ein Nachlassverfahren, enden die meisten notleidenden Unternehmen direkt im Konkurs. So deponierten im Jahr 2019 von insgesamt 4’247 Unternehmen 98,4% ihre Bilanz (Konkurs), während nur 1,6% eine gerichtliche Sanierung angestrebt haben. Von den 66 Unternehmen, die das Nachlassverfahren in Anspruch genommen haben, konnten 58% (38 Unternehmen) ihre Unternehmen erfolgreich umstrukturieren. Quelle: Alvarez & Marsal

Alessandro Farsaci, Managing Director bei A&M Schweiz, kommentiert: «Die Entscheidung für ein gerichtliches oder aussergerichtliches Verfahren ist nicht der Ausgangspunkt einer Sanierung, sondern oft hauptsächlich die Frage, wie der Plan am besten umgesetzt werden kann. Die wichtigeren Erfolgsfaktoren eines Turnarounds sind in der Regel eine faktenbasierte Bewertung des Unternehmens (z.B. Wettbewerbsfähigkeit), auf deren Grundlage ein umfassender und realistischer Plan ausgearbeitet werden kann, um die Strategie bzw. das Geschäftsmodell anzupassen, sowie das Unternehmen und seine Ertragslage zu verbessern. Die Sanierung bleibt also im Grundsatz zwar eine tägliche Aufgabe von Unternehmensleitern, aber es ist von entscheidender Bedeutung, dass Unternehmen diese Prozesse früh genug einleiten und ihre Pläne rigoros umsetzen, wenn sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten.»

Die Umfrage zeigt, dass der schweizerische Rechtsrahmen zwar ein funktionierendes Instrument zur Sanierung von Unternehmen oder Geschäftseinheiten bietet, die Entscheidungsträger diesen Weg aber zu oft erst dann in Betracht ziehen, wenn es selbst für eine gerichtliche Sanierung zu spät ist, weil das Verfahren als Konkurs angesehen wird. Das Stigma, das in der Schweiz mit Konkursen verbunden ist, hält die Unternehmen davon ab, ein wirksames Rechtsinstrument zu nutzen, das ihre Aussichten erheblich verbessern könnte. Ein proaktiverer Einsatz von Sanierungsverfahren würde dazu beitragen, vermeidbare Konkurse zu verhindern, Schweizer Arbeitsplätze zu schützen und Werte für alle Beteiligten zu erhalten.