Rückgang der Inflation bietet Chancen in den Emerging Markets

Angesichts der allgemeinen Verbesserung der Inflationsaussichten ist zu erwarten, dass eine Reihe von Zentralbanken der Schwellenländer mit Zinssenkungen beginnen könnte. Dies wird durch die Tatsache unterstützt, dass viele Schwellenländer den Industrieländern voraus sind und die Zinsen früher und aggressiver angehoben haben. Insgesamt dürfte sich die Aussicht auf Zinssenkungen in Verbindung mit einem angemessenen Wachstum in den Schwellenländern positiv auf Anleihen in Lokalwährungen der Schwellenländer auswirken.

Die Schwellenländer hätten schon länger mit der Inflation zu kämpfen, das vergangene Jahr ist da keine Ausnahme. Dafür hat es mehrere Gründe gegeben: steigende Rohstoffpreise infolge des Russland/Ukraine-Konflikts, Lieferketten-Probleme und schwache Schwellenländerwährungen sind Treiber des Preisauftriebs gewesen. Doch die Vorzeichen ändern sich: Mit der Umkehrung des letztjährigen Anstiegs der Lebensmittel- und Energiepreise, der Lockerung von Lieferkettenengpässen und einem schwächeren US-Dollar hat sich die Inflation in den meisten aufstrebenden Volkswirtschaften sowohl im Monats- als auch im Jahresvergleich verlangsamt. Darüber hinaus sind die Inflationsüberraschungen, die in den letzten Jahren zumeist positiv ausfielen, nun im Allgemeinen negativ geworden. Dieser Disinflationstrend dürfte sich in der zweiten Jahreshälfte fortsetzen.

Es ergeben sich in den Emerging Markets historisch einmalige Gelegenheiten, da die Inflation fällt, gleichzeitig aber die Zinsen auf einem recht hohen Level sind.

Fabian Wallmeier, Managing Director Institutional, Capital Group Switzerland

Entschlossene Zentralbanken
Hinzu kommt die Tatsache, dass die Zentralbanken vieler Schwellenländer denen der Industrieländer voraus gewesen sind und die Zinssätze früher und aggressiver angehoben haben, um die Inflation zu bekämpfen. Ein Beispiel für das entschlossene Vorgehen in den Emerging Markets ist die Notenbank von Brasilien, welche die Zinsen von zwei Prozent (Stand: Ende 2020) insgesamt auf die derzeit aktuellen 13,5 Prozent erhöht hat. Mit Erfolg: In Brasilien ist die Inflation bereits auf unter vier Prozent gefallen. Das Land ist aber hier nur ein Beispiel für einen Markt, in dem es einen positiven Realzins gibt, also einen Zinssatz, der abzüglich der Inflation positiv ist. Es ergeben sich in den Emerging Markets historisch einmalige Gelegenheiten, da die Inflation fällt, gleichzeitig aber die Zinsen auf einem recht hohen Level sind.

Entlastung auf der Angebotsseite
Ein wichtiger Aspekt bei der Betrachtung der Inflationsentwicklung ist zudem die Angebotsseite. In vielen entwickelten Märkten haben die Regierungen in Corona-Zeiten Konjunkturprogramme aufgelegt. Gleichzeitig sind die Konsumenten damals jedoch gar nicht in der Lage gewesen, Geld auszugeben. Die Sparquote war daher im privaten Sektor recht hoch. In der Nach-Corona-Zeit floss dann viel Geld in den Konsum und führte zu Problemen auf der Angebotsseite. In den Emerging Markets haben die Regierungen hingegen schlicht nicht genug Geld gehabt, um monetäre Anreize zu setzen. Es gibt auf der Angebotsseite daher auch keine Knappheit, was die Inflation abschwächt.
Wann genau der Abwärtstrend bei den Leitzinsen Realität wird, ist schwierig zu prognostizieren. Aber in Verbindung mit insgesamt vernünftigen Fundamentaldaten, relativ attraktiven Nominalzinsen sowie positiven Realzinsen in weiten Teilen der Schwellenländer sind Schwellenländeranleihen recht positiv zu bewerten. Angesichts der unterschiedlichen Politik- und Inflationsdynamik in den einzelnen Ländern sowie der verschiedenen relativen und absoluten Bewertungen der Emittenten kommt es jedoch darauf an, selektiv vorzugehen. Wir sehen in lateinamerikanischen Lokalwährungsanleihen angesichts der Kombination aus attraktiven Nominal- und positiven Realzinsen, moderater Inflation und proaktivem Verhalten der Zentralbanken ein Wertpotenzial. Die makroökonomischen Bedingungen sehen jetzt besser aus als Ende letzten Jahres und die Tendenz zu positiveren Fundamentaldaten dürfte die Bedenken hinsichtlich politischer Risiken in diesen Ländern vorerst überwiegen. Die mittel- und osteuropäischen Länder werden hingegen noch immer mit der Eindämmung der Inflation kämpfen und die realen Zinssätze seien nach wie vor negativ. Die Region beginne jedoch, attraktiver zu werden.

Eine Frage des Dollars
Schliesslich dürfte auch der US-Dollar eine wichtige Rolle spielen, da es für die Zentralbanken der Schwellenländer schwierig sein wird, in einem Umfeld mit starkem Dollar und schwachen lokalen Währungen die Zinsen zu senken. Ein starker US-Dollar hat die Zentralbanken der Schwellenländer in der Vergangenheit oft dazu gezwungen, die Zinsen zu erhöhen, während ein schwächerer Dollar es ihnen ermöglicht hat, die Zinsen zu senken. Abgesehen davon, dass der US-Dollar nach fast allen Bewertungsmassstäben überbewertet ist, gibt es jetzt eine Reihe von Faktoren, die für einen schwächeren Dollar sprechen, darunter das bevorstehende Ende des Zinserhöhungszyklus der Fed und die Wiedereröffnung Chinas. Auch wenn noch nicht klar ist, dass die Hausse des US-Dollars eine Wende genommen hat, dürfte der grösste Teil des allgemeinen US-Dollar-Aufwertungszyklus hinter den Märkten liegen.

Aussenbilanzen verbessern sich
Hinzu kommt: Die fundamentalen Aussichten für die Schwellenländer sehen konstruktiv aus, was eine Trendwende bei den Schwellenländerwährungen gegenüber dem US-Dollar unterstützen könnte. Die Inflation und die Sorge um die Lebenshaltungskosten haben Druck auf die Haushaltsdefizite ausgeübt, die im Vergleich zu früheren Höchstständen in den Schwellenländern hoch sind, obwohl die öffentliche Verschuldung immer noch unter dem Niveau der Industrieländer liegt und überschaubar bleibt. Die Devisenreserven sind in gewissem Umfang geschrumpft, doch haben sich die Aussenbilanzen vieler Schwellenländer dank unterbewerteter Wechselkurse allgemein verbessert.