Wie Bürokraten die ESG-Wende abzuwürgen drohen

Das Gegenteil von «gut» ist «gut gemeint». Das trifft auch auf die Politik und die Aufsichtsbehörden zu, die mit einem schier unerschöpflichen Elan neue ESG-Regelwerke und Vorschriften für die Finanzindustrie erlassen – und damit ungewollt die Wende hin zu einer Anlagewelt mit ökologischem oder sozialem Anspruch abwürgen.

Selten haben sich Ermüdungserscheinungen in der Finanzindustrie so deutlich manifestiert. Kritik und Skepsis gegenüber Anlagen mit ökologischem oder sozialem Anspruch, vor wenigen Monaten höchstens hinter vorgehaltener Hand geäussert, sind heute an der Tagesordnung. Den Stein ins Rollen gebracht hat Tariq Fancy. Der frühere Nachhaltigkeitschef von Blackrock hat den ESG-Trend als ein «gefährliches Placebo» bezeichnet. Inzwischen hat sich der grösste Vermögensverwalter der Welt mehr oder weniger offiziell vom Thema verabschiedet. Gleiches gilt teilweise auch für grosse Unternehmen aus der Privatwirtschaft, die sich einst zur ESG-Wende bekannt haben. So plante beispielsweise Glencore die Abspaltung seines profitabelsten Geschäftszweiges, der Kohleförderung, um künftig weniger Angriffsfläche in Sachen Umwelt- und Klimaschutz zu bieten. Tempi passati. Die Kehrtwende des Zuger Rohstoffkonzerns steht sinnbildlich für ein Umdenken hinsichtlich der ESG-Kriterien, die auch in der Privatwirtschaft zunehmend hinterfragt werden. Aber zurück zur Finanzwirtschaft. Die Vorbehalte, die der ESG-Thematik hier entgegenschlagen, sind mehrheitlich in einer ausufernden Regulationswut seitens der Politik, namentlich der EU, und der Aufsichtsbehörden begründet.

Die Wirtschaft in allen Ländern wäre doppelt so stark, wenn die Bürokratie halb so stark wäre.

Unbekannt

Längst werden Anlagen mit ökologischem oder sozialem Anspruch nicht mehr als geschäftspolitische Opportunität betrachtet, sondern vielmehr mit einer «Regulatory Burden» gleichgesetzt. Der Reporting-Aufwand und die Notwendigkeit, ESG-relevante Daten zu erheben, aufzubereiten und bereitzustellen, hat inzwischen ein kontraproduktives Ausmass angenommen. Gleichzeitig macht das Schreckgespenst des Greenwashing die Runde und die Branchenakteure zeigen sich in der Vermarktung von ESG-Anlagen deutlich defensiver als auch schon. Dennoch ist der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) nur mit Mühe gelungen, eine aufsichtsrechtliche, staatliche Regulierung (vorerst) abzuwenden. Wie lange die Politik sich allerdings mit der Selbstregulierung der Schweizer Finanzbranche in Sachen Greenwashing zufrieden gibt, dürfte massgeblich auch von den gesellschaftspolitischen Strömungen in Bundesbern abhängen. Und die sind bekanntlich äussert volatil. Weitaus dramatischer ist aber die sogenannte EU-Taxonomie, der sachfremde Versuch, die technischen Standards im Zusammenhang mit der ESG-Regulierung innerhalb der EU formal auszugestalten. Dieser EU-Taxonomie vermögen sich auch die Schweizer Banken nicht zu entziehen, insbesondere wenn sie im EU-Raum operieren. Das rund 600-seitige Regelwerk wirft mehr Fragen auf, als dass es Klarheit schafft. Was von der EU-Politik gut gemeint war, entpuppt sich zunehmend als ein administrativer Moloch, der laufend ergänzt und präzisiert werden muss – zum Nachteil einer praxistauglichen Implementation von Anlagen mit ökologischem oder sozialem Anspruch. Das ist sehr zu bedauern und es bleibt zu hoffen, dass sich sowohl die politischen, als auch die aufsichtsrechtlichen Instanzen wieder mehr an der Praxis und weniger an der Theorie orientieren. Andernfalls wird die dringend notwendige ESG-Wende abgewürgt – und zwar nachhaltig.