Kurzfristigkeit dominiert Guidance grosser Schweizer Unternehmen

Die überwiegende Mehrzahl der grössten börsenkotierten Schweizer Unternehmen (SMI Expanded) hat zukunftsgerichtete Zielgrössen im Rahmen einer finanziellen Guidance in ihre Jahresberichterstattung 2022 integriert. Laut einer von IRF durchgeführten Studie sind diese mehrheitlich kurzfristig sowie am Umsatz und der aktuellen Marktsituation orientiert. Stark zugenommen haben Aussagen zu nicht-finanziellen Prognosen und Zielsetzungen.

Fast alle der im SMI Expanded enthaltenen Schweizer Gesellschaften gaben im Rahmen ihrer Geschäftsberichterstattung zum Geschäftsjahr 2022 eine qualitative oder quantitative Guidance ab (98%), wenn auch unterschiedlich ausführlich. Im letztmals von IRF erhobenen Zeitraum 2019 taten dies noch 81% der damals untersuchten Unternehmen. Eine grosse Mehrheit (80%) macht qualitative und quantitative Angaben (2019: 55%). Der Anteil der Unternehmen, die qualitative Messgrössen angaben, lag bei 89% (2019: 74%). Bei den quantitativen Messgrössen war die Quote mit 91% leicht höher. Im Vergleich zu 2019 erhöhte sich der Anteil markant (2019: 51%). Zwei von drei Unternehmen widmen der Prognose zur künftigen Geschäftsentwicklung ein eigenes Kapitel im Geschäftsbericht. Oliver Seifried, Partner von IRF, kommentiert: «Grosse börsenkotierte Schweizer Unternehmen geben immer präzisere Prognosen zur künftigen Geschäftsentwicklung an. Das ist mit Blick auf die volatilen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen bemerkenswert. Unternehmen können mit klaren Ansagen die Erwartungen des Kapitalmarkts besser steuern. Investoren schätzen diese Bemühungen nach Transparenz und möglichst weit reichender Visibilität. Tendenziell senken sich für Unternehmen damit die Kapitalkosten. Dabei ist relevant, dass die Unternehmen ihre Prognoseinformationen über die Jahre hinweg konsistent und somit leicht vergleich- und nachvollziehbar abbilden.»

Wichtigste Zielgrössen: Umsatz und operatives Ergebnis
Bei den quantitativen Zielgrössen äusserten sich die Unternehmen mit Abstand am häufigsten zum Umsatz (82%) und zum EBIT/EBITA/EBITDA (62%). 2019 waren die Anteile noch anders gewichtet: 68% EBIT/EBITA/EBITDA und 61% Umsatz. «Wir führen dies auf unterschiedliche Faktoren zurück: Wachstum war im Zuge des günstigen Kapitals der letzten Jahre einfacher zu finanzieren, sodass der Fokus der Unternehmen und auch der Investoren vermehrt auf den Umsatz gerichtet war. Zudem ist die Visibilität bei den Kosten stark gesunken und entsprechende Aussagen zum Ausblick der Profitabilität schwieriger geworden», sagt Yasemin Diethelm-Ersan, Senior Consultant bei IRF. Rund ein Drittel der Unternehmen wiesen Angaben zu Dividende (33%; 2019: 29%), Cashflow (31%; 2019: 26%) und Gewinn/Gewinn je Aktie (27%; 2019: 16%) aus. Der in den USA weit verbreitete Gewinn pro Aktie als Zielwert bleibt in der Schweiz unüblich. Deutlich weniger nannten die Unternehmen die erwartete Eigenkapitalrendite bzw. -quote (9%; 2019: 13%). Bei den qualitativen Guidance-Kriterien führt bei den internen Parametern die Entwicklung einzelner Geschäftsfelder oder Produktgruppen das Ranking an. 38% der untersuchten Unternehmen gaben dazu eine Guidance ab. 2019 waren es 53%. Weniger oft genannt wurden Kosteneinsparungsprogramme und betriebliche Effizienz (29%; 2019: 21%) sowie die geografische Verankerung und die Entwicklung gegenüber Marktdurchschnitt (je 18%; 2019: 18% bzw. 24%). Immerhin ein Viertel der Unternehmen äusserten sich zur künftigen Marktposition (24%). 2019 machten dies nur gerade 5% der Unternehmen. Bei den externen Faktoren dominieren die Beschreibung der aktuellen Marktsituation (78%; 2019: 84%) und der konjunkturelle Ausblick (67%; 2019: 55%). Prognosen zu Währungen machte hingegen jedes fünfte Unternehmen (22%). 2019 machten dies halb so viele Unternehmen (11%). Aktuelle exogene Faktoren wie Lieferkettenprobleme durch Ressourcenprobleme (33%) und der Ukraine-Krieg (22%) fanden ebenfalls Berücksichtigung in der Guidance.

Kaum längerfristige Prognosen
Wie die diesjährige Untersuchung zeigt, gaben über 90% der Unternehmen eine kurzfristige Prognose über 12 Monate ab (91%; 2019: 74%). Auch der Anteil der Unternehmen, die in ihrer Jahresberichterstattung mittel- bis langfristige Prognosen (Zeithorizont: 2-3 Jahre) publizierten, nahm mit 64% (2019: 42%) deutlich zu, 18% (2019: 16%) gaben längerfristige Ziele bekannt. Zwar veröffentlichen zwei Drittel der Unternehmen inzwischen auch mittelfristige Ziele. Doch klafft zwischen den Erwartungen langfristig orientierter Investoren und dem Bedienen kurzfristig orientierter Angaben weiterhin eine grosse Lücke.

Zwar veröffentlichen zwei Drittel der Unternehmen inzwischen auch mittelfristige Ziele. Doch klafft zwischen den Erwartungen langfristig orientierter Investoren und dem Bedienen kurzfristig orientierter Angaben weiterhin eine grosse Lücke.

Oliver Seifried, Partner, IRF

Zum Standard geworden in der Jahresberichterstattung grosser kotierter Schweizer Unternehmen sind Prognosen und Zielsetzungen zu ökologischen und sozialen Faktoren. 96% der analysierten Unternehmen machten Angaben zu ökologischen Faktoren, davon mehr als die Hälfte in qualitativer und quantitativer Form. 2019 lag dieser Wert bei 38%. 91% äusserten sich zu sozialen Faktoren – auch hier fand dies bei mehr als der Hälfte qualitativ und quantitativ statt. 2019 waren es 43% der Unternehmen. Der starke Anstieg widerspiegelt einerseits das wachsende Bedürfnis nach Kommunikation seitens der nachhaltig orientierten Finanzgemeinde respektive Investoren. Ebenso schliessen wir daraus, dass sich die grossen Firmen für die gesetzlich verankerte Pflicht zur nicht-finanziellen Berichterstattung per Geschäftsjahr 2023 bereits gut vorbereiten und konkrete, zukunftsgerichtete Ziele formuliert haben.

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