Die Elefantenkurve und die ungleichen Auswirkungen der Globalisierung

Die wachsende Ungleichheit, die durch die Globalisierung verstärkt wird, führt zu politischen Spannungen und zunehmendem Protektionismus, was die Weltwirtschaft nachhaltig verändert. In den letzten Jahren gibt es immer mehr Anzeichen für eine grundlegende geopolitische Neuausrichtung. Dies bedeutet eine Abkehr von der etablierten Weltordnung, die vom Ende des Kalten Krieges bis zur ersten Amtszeit von Donald Trump im Jahr 2016 Bestand hatte.

Ein zentraler Faktor dieser Entwicklung in der US-Politik war das weitverbreitete Gefühl der Vernachlässigung innerhalb der halbqualifizierten Arbeiterschaft und der Mittelschicht – eine Dynamik, die entscheidend zur Wiederwahl von Trump beigetragen hat.

Globale Spaltung
Trumps Wahlsieg im Dezember war deutlich. Neben der republikanischen Mehrheit in beiden Parlamentskammern und einem konservativ dominierten Obersten Gerichtshof sicherte sich der ehemalige Präsident auch die Mehrheit der Stimmen. Mit dieser breiten Unterstützung kann Trump seine politischen Vorhaben umsetzen – von Handelszöllen über Nearshoring bis hin zu verschiedenen «America First»-Strategien. Gleichzeitig ist seine Rückkehr ins Weisse Haus von Kontroversen begleitet, die weit über die USA hinausgehen.

Die wachsende Ungleichheit, die durch die Globalisierung verstärkt wird, führt zu politischen Spannungen und zunehmendem Protektionismus, was die Weltwirtschaft nachhaltig verändert.

Lukas Burghardt, Relationship Manager, Petiole AM

Die untenstehende Grafik, basierend auf einer Umfrage unter 28'549 Personen in 24 Ländern, verdeutlicht die unterschiedlichen Einschätzungen der Wahl. Besonders westliche oder westlich orientierte Länder (z.B. Südkorea) zeigen sich dabei am skeptischsten gegenüber dem Wahlergebnis.

Quelle: European Council on Foreign Relations

Ein wesentlicher Grund für diese kritische Haltung ist die verbreitete Wahrnehmung, dass Trumps Politik grundlegend gegen die Globalisierung gerichtet ist. Seit dem Ende des Kalten Krieges wurde die Globalisierung von westlichen Ökonomen und Wirtschaftsführern als Schlüssel zu wirtschaftlichem Fortschritt angesehen. Adam Smiths Theorien über den freien Handel, die ungehinderte Bewegung von Arbeitskräften und offene Märkte wurden als Erfolgsmodell gefeiert, das den weltweiten Lebensstandard gesteigert hat. Vor diesem Hintergrund wird die Rückkehr zu Protektionismus und Handelskonflikten oft als Rückschritt betrachtet.

Die schwindende Mittelschicht
Warum gibt es dann dennoch eine zunehmende Ablehnung der Globalisierung? Eine mögliche Antwort liefert die Analyse von Lakner und Milanovic aus dem Jahr 2013, bekannt als die «Elefantenkurve». Sie zeigt, dass fast alle Bevölkerungsgruppen von der Globalisierung profitiert haben – mit einer markanten Ausnahme: der Mittelschicht in westlichen Ländern, deren Einkommenszuwächse erheblich hinterherhinken oder sogar rückläufig sind.

Quelle: Weltbank

Der Tiefpunkt der Kurve liegt im 80. Perzentil des globalen Einkommens und umfasst die halbqualifizierte Arbeiterschaft in westlichen Industrienationen – insbesondere in den Bereichen Fertigung, Automobilindustrie und Elektronik. Viele ihrer Arbeitsplätze wurden in Schwellenländer verlagert. Währenddessen haben diejenigen an der Spitze der globalen Wirtschaftspyramide von höheren Unternehmensgewinnen durch kostengünstigere Arbeitskräfte profitiert. Dies hat das Gefühl verstärkt, dass die heimische Arbeiterschaft im Stich gelassen wurde, während sich die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vergrösserte. Ein historisches Beispiel verdeutlicht den Wandel: Im Jahr 1914 zahlte Henry Ford seinen Arbeitern fünf Dollar pro Tag, was einem Wochenlohn von 30 Dollar (bei einer Sechstagewoche) entsprach – oder 1,45 Feinunzen Gold. Berechnet man diesen Lohn mit heutigen Goldpreisen, entspräche das einem Wochengehalt von 4'038 Dollar oder einem Jahreseinkommen von 209'991 Dollar. Mit anderen Worten: Ein Einkommen, das heute fast ausschliesslich hochqualifizierten Fachkräften (z.B. in den Bereichen Recht, Buchhaltung oder Medizin) vorbehalten ist, war einst für halbqualifizierte Fabrikarbeiter gang und gäbe.

Fazit
Die wirtschaftliche Lage der unteren Mittelschicht in westlichen Ländern ist eine Realität, die nicht ignoriert werden kann. Die Bewältigung dieser Herausforderung wird Regierungen noch über Jahrzehnte hinweg beschäftigen. Gleichzeitig trägt die zunehmende Wohlstandsschere dazu bei, dass sich extreme politische Strömungen – sowohl von rechts als auch von links – verstärken und die Situation weiter verschärfen. Trotzdem gibt es für Einzelpersonen Möglichkeiten, ihre Zukunft aktiv zu gestalten. Technologie und Finanzmärkte haben sich seit Henry Fords Zeiten erheblich verändert. Selbst wer heute vor allem auf Lohnarbeit angewiesen ist, kann Kapital weitaus freier in die Weltwirtschaft investieren als noch vor 100 Jahren. Darüber hinaus sind Investitionsmöglichkeiten, die früher nur den wohlhabendsten Schichten offenstanden, mittlerweile breiter zugänglich. Eine Gesellschaft, in der mehr Menschen am wirtschaftlichen Wachstum teilhaben können, ist stabiler – und eine Zukunft mit vielfältigen Wachstumsoptionen ist eine vielversprechende.

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