Die Zentralbanken der Welt, und insbesondere die Fed, könnten absaufen

Die Inflation dürfte ziemlich hartnäckig bleiben, und weitere Zinserhöhungen stehen bevor. Ein ziemlich herausforderndes Umfeld könnte bevorstehen, nicht zuletzt für Aktien.

In einer makaberen Kurzgeschichte erzählt Ronald Dahl von einem Passagier auf einem Kreuzfahrtschiff, der darauf wettet, wie viele Meilen an diesem Tag zurücklegen werden. Als er realisiert, dass der Ozeandampfer sehr schnell fährt, beschliesst er, über Bord zu springen, damit das Schiff umkehren muss und damit an Geschwindigkeit verliert, um ihn zu retten. Der Mann zieht die Aufmerksamkeit einer älteren Dame auf sich, springt ins Meer, schreit um Hilfe und winkt ihr wie verrückt zu, während das Schiff in der Ferne verschwindet. Leider ist die Dame senil. «So ein netter Mann. Er hat mir zugewinkt», sagt sie zu ihrer Betreuerin, die die alte Frau tadelt, weil sie alleine weggelaufen ist. Diese Geschichte und insbesondere ihre Pointe bemühen die Anlage-Experten von DWS im Rahmen ihrer neuen 12-Monatsprognose, die in der unten stehenden Grafik das Wichtigste zusammengefasst.

Im Basisszenario wird erwartet, dass in den meisten entwickelten Märkten entweder sehr flache Rezessionen oder Phasen schwachen Wachstums zu sehen sein werden, gefolgt von moderaten Erholungen. Für China ist in 2023 mit einer starken Erholung zu rechnen, angeführt von Konsum und Dienstleistungen, ähnlich wie in anderen Volkswirtschaften nach der Aufhebung der Covid-Beschränkungen, aber auch mit vielen mittelfristigen Herausforderungen.

DWS-Wirtschafts- und Marktprognosen:

Das grössere Problem für die Finanzmärkte ist die von DWS als ziemlich hartnäckig betrachtet Inflation, die weitere Zinserhöhungen befürchten lässt. Für die US-Notenbank könnten diese sogar noch stärker ausfallen als prognostiziert, sofern sich die US-Wirtschaft weiterhin als so widerstandsfähig erweist wie zuletzt. All dies sorgt für ein herausforderndes Umfeld für viele riskante Vermögenswerte, wie sich in dem winzigen, niedrig einstelligen Kursanstieg im S&P 500 Index widerspiegelt. Für Europa und die Schwellenmärkte ist das Kurspotenzial etwas grösser (ebenso wie die Dividendenrenditen). Insbesondere in diesen Regionen sieht DWS auch einige Untersegmente mit Potenzial, sowohl bei Aktien als auch bei festverzinslichen Wertpapieren.

Die Zentralbanker der Welt, insbesondere die der Fed und angeführt von Jerome Powell, haben einen grossen Sprung ins Ungewisse gewagt, was das Ausmass und die Geschwindigkeit ihrer Zinserhöhungen betreffen.

DWS

Mit Blick auf das grosse Ganze sind die ersten vier Spalten der Grafik bezeichnend, wenn man sie mit den Erwartungen des Jahres 2019 für eine plausible 12-Monats Prognose in der kommenden Dekade vergleicht. Anämisches BIP-Wachstum, aber Inflationsraten auf atemberaubendem Niveau, nicht nur nach den Massstäben der 2010er-Jahre. Die Benchmark-Zinssätze liegen deutlich über denen von 10-jährigen Treasuries und Bundesanleihen, was eindeutig darauf hindeutet, dass die Benchmark-Zinsen irgendwann wieder sinken. Aber wie die Fed weiss niemand sicher, wie schnell die Inflation sinken wird, wenn die Angebotsengpässe nachlassen und die volle Wirkung der bereits erfolgten geldpolitischen Straffung einsetzt.

Zurück zur Geschichte mit dem Schiff. Der besagte Dampfer ist – zumindest vorerst – zu schnell unterwegs. Die Zentralbanker der Welt, insbesondere die der Fed und angeführt von Jerome Powell, haben einen grossen Sprung ins Ungewisse gewagt, was das Ausmass und die Geschwindigkeit ihrer Zinserhöhungen betreffen. In letzter Zeit haben sie den Märkten zugewunken, manchmal sogar geschrien, dass sie beabsichtigen, alles Notwendige zu tun, um die Inflation wieder in Richtung ihrer 2-Prozent-Ziele zu bringen, und dass die Anleger nicht vorzeitig feiern sollten. Bis vor Kurzem waren viele Marktteilnehmer, ähnlich wie die ältere Dame und ihre Pflegekraft, nicht oder zu wenig bereit, um auf solche Warnungen zu reagieren. Allein das mahnt zur Vorsicht. Ein Happy End ist denkbar, aber es könnte zu früh sein, um mit grossen, riskanten Wetten auf die blosse Hoffnung zu setzen, dass die Zentralbanken genau zum richtigen Zeitpunkt alles richtig machen, ohne dass die Märkte in der Zeit bis dahin zwischendurch irgendwann den Verstand verlieren.