Temperaturen, Wettervorhersagen und Windgeschwindigkeiten

Im Verlauf der vergangenen Quartale sind wir übergegangen vom Zählen der Impfraten und Zählen der Frachtschiffe, die auf die Möglichkeit zum Anlegen in einem Hafen warten, zu Temperaturen, Wettervorhersagen und Windgeschwindigkeiten. Alle Hoffnungen auf einen schnellen Wirtschaftsboom nach der Wiedereröffnung, gefolgt von einer Phase der schnellen Normalisierung im zweiten Halbjahr 2021, sind inzwischen praktisch gestorben.

Die direkten Auswirkungen der Delta-Variante auf die Lieferketten, insbesondere in Südostasien, sind endlich fast überstanden, da nun nahezu alle Fabriken in Malaysia und Vietnam den Betrieb wieder aufnehmen. Darüber hinaus erholte sich der China Caixin Services Purchasing Manager's Index (PMI) im September merklich, mit einem Endwert von 53,4 gegenüber 46,7 im August, und lag damit deutlich über den Erwartungen. Es bestanden also gute Gründe dafür, zu hoffen, dass sich die Versorgungsmängel in den kommenden Monaten endlich wieder normalisieren könnten. Doch diese Hoffnungen sind durch die aktuelle Energiekrise, von der insbesondere Europa und China betroffen sind, stark in Bedrängnis geraten.

Die Auswirkungen der Energiekrise werden breit gefächert sein.

Geraldine Sundstrom, Portfolio Manager, Pimco

Einige europäische Haushalte werden deutlich höhere Stromrechnungen erhalten – ein massiver Schlag für verfügbare Haushaltseinkommen, wodurch die allgemeine Stimmung kippen könnte. Nachdem China einige Zeit lang versucht hat, dies zu verhindern, sieht es inzwischen ganz danach aus, dass auch in China die Strompreise steigen werden, durch Anheben der Obergrenze für Strompreis-Erhöhungen von 10% auf 20%, selbst für Privathaushalte. Währenddessen sind Unternehmen prinzipiell viel stärker den Grosshändlerpreisen für Energie ausgesetzt, es sei denn, sie bezahlen Festvertragspreise. In China wird es Preiserhöhungen geben, aber auch teilweise geplante Stromausfälle werden bis Ende 2021 stattfinden, und viele Branchen müssen mit einer Stromreduzierung von 10% bis 30% rechnen. In Europa führen die Grosshändlerpreise für Energie zur vereinzelten Schliessung von Fabriken, während Produktionsanlagen für Düngemittel und Aluminium sowie Gewächshäuser in den Niederlanden bereits geschlossen sind, und Domino-Effekte in anderen Branchen werden höchstwahrscheinlich bald folgen. Insgesamt könnte es in den kommenden Monaten zu erneuten Versorgungsmängeln kommen, doch wahrscheinlich anders geartet als bisher.

Insgesamt könnte es in den kommenden Monaten zu erneuten Versorgungsmängeln kommen, doch wahrscheinlich anders geartet als bisher.

Geraldine Sundstrom

Selbstverständlich wird in Europa und China fieberhaft daran gearbeitet, mehr Energie bereitzustellen, aber es gibt kein Wundermittel. Nord Stream 2 könnte gestartet werden, aber Gazprom produziert bereits Rekordmengen an Gas und hat mit Russlands eigenen niedrigen Lagerbeständen zu kämpfen, und es ist nicht klar, ob die deutsche Infrastruktur über ausreichende Kapazitäten verfügt, um grössere Liefermengen zu bewältigen. China hat seine Kohleminen angewiesen, die Produktion zu erhöhen, aber die wichtigste Kohleförderregion ist bereits von Überschwemmungen beeinträchtigt. Letztendlich werden Regierungen aufgrund der schwerwiegenden Problematik realisieren, wie dringend sie ihre Energieunabhängigkeit wiedererlangen müssen. In dieser Woche hat das Vereinigte Königreich einen Plan für 100% seiner Energiegewinnung aus erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2035 vorgestellt, während die Eurogruppe zu dem Schluss gekommen ist, dass umweltfreundliche Energieproduktion nicht das Problem, sondern Teil der Lösung ist, und hat bekräftigt, dass die Abhängigkeit von Energieimporten verringert werden muss.

Sicherlich werden Analysten in der kommenden Berichtsaison, die nächste Woche in den USA beginnt, besonders stark auf Aspekte wie Preismacht, Gewinnmargen und Hinweise auf die Mangelsituation sowie Lohndruck achten. Bereits jetzt haben mehrere grosse internationale Konzerne vor Produktionskürzungen gewarnt und ihren Ausblick für das 3. Quartal aufgrund von Lieferketten- und Arbeitskräftemangel herabgestuft. Auf der makroökonomischen Seite wird die Ausgabe neuer Geldmittel sicherlich die Inflation ankurbeln, für Zinserhöhungen sorgen und die Zentralbanken ins Schwitzen bringen.

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