Beschleunigt die Politik die Regionalisierung der Lieferketten?
Gestern die Covid-Krise, heute der Krieg in der Ukraine und morgen ein möglicher Konflikt in Taiwan. Unsere Welt war noch nie so zersplittert und die vergangenen Krisen haben ihre Spaltung in zwei grosse politische Blöcke verstärkt – einen, der von den USA, und einen, der von China angeführt wird.
Im Gegensatz zu den Jahren 2018 bis 2019 geht es nicht mehr um Handelskonkurrenz, sondern um einen echten Gegensatz der Ansichten, und zwar in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht. In diesem Jahr stimmten die Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit dafür, Russland für den Einmarsch in die Ukraine zu sanktionieren. Dieses Votum unterstrich die Wiederbelebung der alten Ost-West-Spannungen zwischen dem pro-demokratischen Lager (Westen) und denjenigen, die die Idee bestreiten, dass ein einzelnes Modell möglich sei (Osten). Wie sieht es mit den potenziellen wirtschaftlichen Auswirkungen einer stärker bipolarisierten Welt aus? Für einige Menschen könnte dies ein unheilvolles Zeichen für eine weitere Deglobalisierung sein. Dies ist ein heisses Thema, das während der Pandemie 2020 aufkam und sich in diesem Jahr mit dem Krieg in der Ukraine verschärfte. Beide Ereignisse erwiesen sich als schmerzhaften Weckruf für die Nebenwirkungen der jahrelangen «Hyperglobalisierung». Ursprünglich dachte man, dass die Globalisierung den Zugang zu Produkten verbessern sowie Fähigkeiten gemeinsam nutzbar und die Wirtschaften skalierbar machen würde, aber sie führte auch zu einer Hyperkonzentration der Lieferketten und einem Rückgang der Produktivität, da Investitionen in arbeitsintensive und kostengünstige Produktionskapazitäten getätigt wurden.
Guillaume Dejean, FX & Macro Strategist, ConveraEine Bipolarisierung der Weltwirtschaft zwischen den USA und China wird keine Deglobalisierung bedeuten, sondern uns vielmehr dazu zwingen, unsere derzeitigen Lieferketten zu überdenken.
Die beispiellose Energiekrise, mit der Europa konfrontiert ist, und die internationalen Frachtkosten, die aufgrund der anhaltenden Lockdowns in China immer noch fast 300% über dem Niveau von 2019 liegen, sind negative Folgen unserer wirtschaftlichen Entscheidungen der Vergangenheit. Das Problem ist jedoch nicht die Globalisierung als Prozess, sondern die Art und Weise, wie sie durchgeführt wurde, insbesondere die Entscheidung, Kosteneinsparungen dem Schutz der Souveränität und der Sicherheit der Bezugsquellen vorzuziehen.
Die Bipolarisierung der Welt sollte die Regierungen dazu zwingen, ihre Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zu überdenken, um zu vermeiden, dass sie bei strategischen Produkten von unfreundlichen Partnern abhängig sind. Eine stärkere Regionalisierung und eine «Verfreundlichung» des Austauschs müssen in Zukunft an Dynamik gewinnen. Die «Regional Comprehensive Economic Partnership» zwischen den wichtigsten asiatisch-pazifischen Ländern (Ende 2021) oder der Expansionsdrang der BRIC-Staaten veranschaulichen einen solchen neuen Trend. Die Verlagerung von Produktionskapazitäten, wie sie von einigen Regierungen gefordert wird, könnte eine Option sein, die jedoch aufgrund der damit verbundenen Kosten und technologischen Hürden (beispielsweise dauert der Bau einer Chipfabrik drei bis fünf Jahre) kurzfristig nur am Rande in Betracht kommt. Wenn geopolitische Spannungen vorübergehend den Warenhandel beeinträchtigen und traditionelle Kanäle in Mitleidenschaft gezogen werden, besteht die Chance, dass sich der Handel mit Dienstleistungen beschleunigt, da die Weltwirtschaft zunehmend digitalisiert wird und bis 2050 Kohlenstoffneutralität anstrebt.