Russlands Krieg gegen die Ukraine verändert die Welt – Drei Szenarien für Anleger

Über ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gibt es immer noch keine Anzeichen einer Deeskalation. Welche Auswirkungen könnte ein längerer Krieg oder ein prekärer Frieden auf Wirtschaft und Märkte haben?

Die Marktbewegungen werden ein Jahr nach Kriegsbeginn wieder primär von den Makrofaktoren bestimmt. Die Weltwirtschaft scheint sich auf die veränderte Situation eingestellt zu haben. Die europäischen Staaten sind von den Folgen des Krieges zwar unterschiedlich stark betroffen, bewältigen diese aber insgesamt erstaunlich gut. Mit Chinas Wiederöffnung und der rückläufigen Inflation nimmt die Weltwirtschaft insgesamt wieder mehr Fahrt auf. Vor diesem Hintergrund besteht die Gefahr, dass Anleger die geopolitischen Faktoren aus dem Blick verlieren und sich bei ihrer Vermögensaufteilung zu stark an den Bewertungen, Fundamentaldaten und positiven Entwicklungen orientieren. Damit würden die einschneidenden Folgen dieses Krieges für das globale Machtgefüge und die globale Wirtschaftsordnung übersehen, deren Grundfesten seit der globalen Finanzkrise durch den Brexit, Trumps Handelskriege, Covid und die Spannungen zwischen den USA und China zunehmend erschüttert worden sind.

Die Vorstellung, dass wirtschaftliche Verflechtungen Konflikte verhindern, indem sie Kriege zu teuer machen, hat sich ganz klar als fehlgeleitet erwiesen.

Arnab Das, Global Macro Strategist, Invesco

Unabhängig vom Ausgang dieses Krieges rechnen wir mit einer stärkeren Segmentierung der Weltwirtschaft. Anleger sollten dies bei der strategischen Vermögensaufteilung in ihren Portfolios berücksichtigen, weshalb wir drei mögliche Szenarien für den Ausgang des Russland-Ukraine-Konfliktes skizziert haben, die als Orientierungshilfe bei der strategischen Asset Allokation dienen können.

  • Im ersten Szenario eines ukrainischen «Sieges» würden die geopolitischen Risiken abnehmen, die geoökonomischen Herausforderungen jedoch bestehen bleiben. Eine offene Frage für den Westen und die Ukraine beträfe die Aussicht auf eine NATO- und EU-Mitgliedschaft der Ukraine. Um künftige Angriffsansinnen im Keim zu ersticken, müsste die Ukraine möglicherweise bis an die Zähne bewaffnet werden. Eine weitere Unsicherheit beträfe das US-Engagement, das seit der Trump-Ära nicht mehr als gegeben betrachtet werden kann
  • Im zweiten Szenario eines russischen «Sieges» würden wir mit einem grösseren Risiko weiterer Konflikte und einer stärkeren geoökonomischen Zersplitterung rechnen. Sollte Russland das Ruder herumreissen und einen Teil der Ukraine dauerhaft unter seine Kontrolle bringen, müsste die «Rumpfukraine» stabilisiert und ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet werden. Die Schlagkraft der NATO müsste in diesem Szenario noch mehr gestärkt werden und Westeuropa hätte noch mehr Gründe für eine dauerhafte Abkopplung von Russland. Das Risiko weiterer grösserer Konflikte in anderen Ländern könnte zunehmen und nationale Sicherheitserwägungen würden in der globalen Wirtschaftspolitik noch mehr an Bedeutung gewinnen und potenziell neue Handels- oder Investitionshemmnissen zur Folge haben
  • Im dritten Szenario einer Pattsituation dürfte die ausbleibende Friedenslösung zu einer dauerhaft angespannten Lage mit regelmässig aufflammenden regionalen Konflikten führen. In diesem Fall würde Russland vermutlich alles tun, um den Westen so lange wie möglich abzuwehren. Die USA, Grossbritannien und die EU wiederum würden die Ukraine unterstützen und das westliche System vor diesen Bedrohungen schützen wollen.

Unabhängig davon, wer den Krieg gewinnt oder ob es zu einer Pattsituation kommt: wir glauben nicht aneine Rückkehr zur alten Weltordnung. Die Vorstellung, dass wirtschaftliche Verflechtungen Konflikte verhindern, indem sie Kriege zu teuer machen, hat sich ganz klar als fehlgeleitet erwiesen. Daher dürften wir es künftig mit einer anderen Form der wirtschaftlichen und finanziellen Globalisierung zu tun haben. Die weltweite wirtschaftliche Integration ist jedoch so weit fortgeschritten, dass ein erneuter Kalter Krieg mit einer vollständigen wirtschaftlichen Abkopplung disruptiv, teuer und kontraproduktiv wäre. Ich erwarte vielmehr eine «Reglobalisierung» – eine Reform der Globalisierung, die mit einer wirtschaftlichen Segmentierung anstelle einer wirtschaftlichen Fragmentierung verbunden wäre. Konkret würde das bedeuten, dass einige Sektoren, Regionen und Volkswirtschaften stärker integriert würden, während andere – zum Beispiel Russland selbst – teilweise entflochten oder vollständig entkoppelt würden. Diese Neuordnung der Globalisierung spricht für eine stärkere Diversifikation von Anlageportfolios.

Was Anleger vermeiden sollten, sind kurzschlussartige Reaktionen wie eine Übergewichtung des Heimatmarktes oder zu hohe Konzentrationsrisiken.

Arnab Das

Was Anleger vermeiden sollten, sind kurzschlussartige Reaktionen wie eine Übergewichtung des Heimatmarktes oder zu hohe Konzentrationsrisiken. Anleger sollten die resultierenden Länderrisiken im Blick haben und auf eine grössere Risikostreuung und sorgfältige Auswahl und Gewichtung der einzelnen Länderexposures achten. Durch eine stärkere Diversifikation über verschiedene Regionen und Sektoren könnten Anleger zum Beispiel von den Wettbewerbsgewinnen Asiens und der Aussicht auf eine höhere Energieeffizienz in Europa bei weltweit unterschiedlichen Energiepreisen profitieren. Ausserdem könnten sie damit der Tatsache Rechnung tragen, dass der «Globale Süden» zu einem wichtigen Schauplatz des Kampfes der Grossmächte werden könnte, die hier um Einfluss wetteifern. Diese Länder sind zwar gegen den Krieg, stehen aber nicht auf der Seite des Westens, wenn es um die Isolierung Russlands oder auch die technologische Abkopplung von China geht.

Mein Fazit: Krieg ist unvorhersehbar. Nur wenige haben diesen Krieg erwartet, die meisten rechneten mit einer schnellen Niederlage der Ukraine. Jetzt ist Russland am Verlieren und viele Kriege bleiben ungelöst. Unabhängig vom Ausgang dieses Krieges rechnen wir einer anhaltend unsicheren geopolitischen Lage, die zu höheren staatlichen Ausgaben und verschärfter Regulierung im Bereich der nationalen Sicherheit führen wird. Das wird Handel, Investitionen und Lieferketten genauso betreffen wie den Verteidigungs-, Energie- und Infrastruktursektor. Anleger sollten dies bei ihrer Vermögensallokation berücksichtigen. Angesichts der Risiken, die die Rivalitäten, Reibungen und Konflikte zwischen den Grossmächten mit sich bringen, würden die Staaten neue Schutzvorkehrungen treffen und Abwehrmassnahmen ergreifen. Dadurch ist mit höheren Haushaltsdefiziten und einer strengeren Regulierung zu rechnen. Die Investitionsbudgets werden zu grösseren Teilen in Massnahmen zur Stärkung der nationalen Sicherheit einschliesslich militärischer Ausrüstung und Kapazitäten sowie zur Sicherstellung verlässlicher, abgesicherter Versorgungsketten fliessen.

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