Es finden sich nach wie vor Anlagechancen – trotz düsterer Prognosen

Anfang Januar veröffentlichte das Weltwirtschaftsforum seinen mit Spannung erwarteten «Global Risks Report», einen jährlichen Überblick über die wichtigsten Risiken auf Grundlage der Gefahrenwahrnehmung von 1’500 Experten aus aller Welt.

Dieses Jahr hebt der Bericht unter anderem folgende Risiken hervor:

  • wirtschaftliche Unsicherheiten, zusätzlich verschärft durch die Inflation und die explodierende Staatsverschuldung,
  • Klimawandel und die Zunahme extremer Wetterereignisse,
  • zunehmende Unsicherheit und Desinformationen, die durch neue Technologien und künstliche Intelligenz (KI) noch verstärkt werden,
  • das Wiederaufflammen bewaffneter Konflikte in einer Zeit, in der die Hälfte der Weltbevölkerung Regierungen wählt,
  • die Verschärfung sozialer Ungleichheiten und die Aushöhlung der Menschenrechte.

Angesichts solcher Aussagen fällt es schwer, gelassen, positiv und konstruktiv zu bleiben. Investoren scheinen den Bericht jedoch ignoriert zu haben: Die Börsenindizes befinden sich auf Rekordniveaus, die vor allem von den US-Technologieaktien getragen werden. Die Volatilität ist rückläufig. Die Risikoprämien von Unternehmensanleihen sind seit Anfang des Jahres trotz steigender Ausfallraten stetig gesunken. Und die Zinssätze werden zwar von der Inflation beeinflusst, haben aber keine Auswirkungen auf die Haushaltslage.

Angesichts der Risiken, die im 'Global Risks Report' erfasst wurden, fällt es schwer, gelassen, positiv und konstruktiv zu bleiben.

Nicolas Forest, Chief Investment Officer, Candriam

Die Haltung der Investoren – die sich der im Bericht beschriebenen Risiken natürlich sehr wohl bewusst sind – wirft daher Fragen auf. Sollten wir solche Risiken ignorieren oder in Panik geraten? Sollten wir uns nicht auf den Fortschritt konzentrieren – natürlich ohne übertriebene Naivität?

Künstliche Intelligenz birgt enormes Potenzial
Wie kann man sich der Faszination des Potenzials entziehen, das künstliche Intelligenz bietet? Die Entwicklung einer Reihe von US-Aktien aus diesem Bereich zeigt nicht nur den Appetit der Anleger. Sie spiegelt auch die Aussicht auf tiefgreifende Veränderungen in Unternehmen aller Sektoren wider: natürlich in der Informationstechnologie (IT), aber auch im Gesundheitswesen, im Finanzwesen, in den Medien und in der Industrie. Laut IDC Worldwide könnte sich die Grösse des KI-Marktes bis 2026 verdoppeln, und allein im Bankensektor werden sich die Ausgaben für KI in den nächsten Jahren voraussichtlich verdreifachen. Dass die Bewertung nicht die attraktivste ist, ist daher verständlich. Dennoch sind wir weiterhin langfristig vom Technologiesektor überzeugt, und sehen heute keine Bewertungsblase wie Ende der 1990er Jahre.

Lichtblicke bei Nachhaltigkeit – trotz weiterer Herausforderungen
Mit Blick auf den Klimawandel fällt es allerdings schwer, sich keine Sorgen zu machen. Jedes Jahr bricht die Durchschnittstemperatur einen neuen Wärmerekord seit Beginn der Aufzeichnungen, die Kohlenstoffemissionen haben 2023 einen neuen Höhepunkt erreicht und die Wahrscheinlichkeit, dass das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens überschritten wird, liegt inzwischen bei 80 Prozent. Nicht weniger gravierend ist, dass einer aktuellen NBER-Analyse zufolge ein globaler Temperaturanstieg von 1 Grad Celcius das weltweite Wachstum in den nächsten sechs Jahren um fast 12 Prozent verringern könnte – ein wirtschaftlicher Effekt, der sechsmal grösser ist als bisher berechnet. Angesichts dieser zunehmenden Risiken und einer relativen Müdigkeit der Investoren in Bezug auf Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte (ESG) – wo gibt es Hoffnung?

Der starke Wertverlust von 'Klimaaktien' stellt eine langfristige Chance für Anleger dar.

Nicolas Forest

Eine erwähnenswerte gute Nachricht: Im Jahr 2023 haben wir einen neuen Rekord bei der weltweiten Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien aufgestellt – fast 30 Prozent. Die Wachstumsrate für Strom aus Solaranlagen liegt bei über 20 Prozent. Und der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge dürften sich die Investitionen in erneuerbare Energien verdreifachen, um das Pariser Abkommen zu erfüllen. Die Investitionen werden also weiter fliessen, und Technologien für die Erzeugung erneuerbaren Stroms, die inzwischen ausgereift und wettbewerbsfähiger sind als fossile Brennstoffe, dürften den Trend zusätzlich stützen. Vor diesem Hintergrund stellt der starke Wertverlust von «Klimaaktien» eine langfristige Chance für Anleger dar.

Alternde Bevölkerung: Investmentchance im Gesundheitssektor
Die Zahl der bewaffneten Konflikte hat im Jahr 2023 einen Rekordwert erreicht. In einer Zeit, in der 50 Prozent der Wahlberechtigten im Jahr 2024 wählen müssen oder werden, erscheint es erneut schwierig, ein Zeichen der Besserung zu erkennen. Dennoch: Es gibt einen eindeutigen globalen Trend zu mehr Wohlstand in der Welt – die extreme Armut geht weiter zurück. Gleichzeitig schreitet der Abbau geschlechtsspezifischer Ungleichheiten voran. Laut dem Gleichstellungsindex verringert sich die Kluft zwischen Männern und Frauen weiter, insbesondere beim Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Auch die Lebenserwartung steigt weiter an. Während die globale Alterung der Bevölkerung eine grosse Herausforderung für die westlichen Volkswirtschaften darstellt, bietet sie gleichzeitig eine strukturelle Chance für Investoren im Gesundheitssektor – ein Sektor, der ebenfalls relativ attraktiv bewertet ist.

Trotz Herausforderungen gibt es auch Chancen
Trotz der allgegenwärtigen politischen und geopolitischen Risiken sowie der strukturellen Herausforderungen konzentrieren sich die Finanzmärkte auf die zukünftigen Zinssenkungen der Zentralbanken und die sehr widerstandsfähige Wirtschaft. Auch wenn die Bewertungen zur Jahresmitte angespannt erscheinen, gibt es nach wie vor attraktive Chancen für Investoren – und Zeichen der Hoffnung für die Bürger.

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