Der Ausgang der US-Wahlen wird auch den Umgang mit dem Klimawandel prägen

Das Rennen um die US-Präsidentschaft bleibt knapp: Wenige Wochen vor den Wahlen scheint noch nichts entschieden zu sein. Hier steht weit mehr auf dem Spiel als nur die Wirtschaft. Was Anleger von den beiden Kandidaten zu erwarten haben und wie die jeweiligen Programme sich auf die Zukunft der Wirtschaft und die Geldpolitik auswirken könnten.

Während sich die Fronten zwischen den Parteien im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen am 5. November verhärteten, wurde der Wahlkampf durch den Rückzug Joe Bidens Ende Juli wiederbelebt. In nur wenigen Wochen konnte Kamala Harris dem Wahlkampf der Demokraten neuen Schwung verleihen. Laut nationalen Umfragen ist sie nun leicht in Führung, und ihr Rückstand in den Swing States hat sich deutlich verringert. Und obwohl Harris in ihrer ersten Fernsehdebatte am 10. September einen Sieg davontragen konnte, indem sie Donald Trump bei zahlreichen Gelegenheiten aus dem Konzept brachte und ihn in die Defensive trieb, bleibt das Rennen extrem knapp: Wenige Wochen vor den Wahlen scheint noch nichts entschieden zu sein.

Zwischen Demokratiezerfall und Kontinuität
Bei diesen Wahlen steht viel auf dem Spiel: Ihr Ausgang entscheidet vor allem die Zukunft der Demokratie, aber auch über die Geopolitik und den Umgang mit dem Klimawandel. In den vier Jahren, in denen Trump Präsident war, hat er die nationalen Institutionen umgekrempelt und die multilateralen Institutionen destabilisiert. Der Angriff auf das Kapitol dient als Erinnerung daran, dass bei den amerikanischen Wahlen weit mehr auf dem Spiel steht als nur die Wirtschaft. Eine Wiederwahl Trumps würde eine Politik mit sich bringen, die darauf abzielt, die Bundesregierung weiter zu entmachten. Zu seinen Zielen zählen zudem die Deregulierung der Industrie sowie die Förderung fossiler Brennstoffe. Ein Sieg der Demokraten hingegen würde Kontinuität bedeuten – sowohl politisch als auch im Bereich Klima.

Trump: Make America Great
Auch in wirtschaftlicher Hinsicht werden die Programme der beiden Kandidaten die Vereinigten Staaten und damit auch den Rest der Welt auf sehr unterschiedliche Pfade führen. Wenn es um den Handel geht, bleibt Trumps Rhetorik entschieden protektionistisch. Er verspricht, die Zölle auf chinesische Güter um 60 Prozent zu erhöhen. Bei Einfuhren aus anderen Ländern sollen die Zölle um 10 oder sogar 20 Prozent steigen. 2017 wurden auf Initiative des Republikaners hin Steuersenkungen verabschiedet. Zum einen will er diese nun dauerhaft beibehalten, da sie sonst Ende 2025 auslaufen würden, zum anderen will er den Unternehmenssteuersatz weiter senken.

Bei diesen Wahlen steht viel auf dem Spiel: Ihr Ausgang entscheidet vor allem die Zukunft der Demokratie, aber auch über die Geopolitik und den Umgang mit dem Klimawandel.

Nicolas Forest, Chief Investment Officer, Candriam

Ein weiteres Ziel Trumps besteht darin, die Einwanderung zu stoppen. Auch sollen 11 Millionen illegale Einwanderer ausgewiesen werden. Trump ist zudem kein Freund des Vorsitzenden der Federal Reserve, Jerome Powell. Er vertritt die Meinung, dass der Präsident, wenn schon nicht die Kontrolle, so doch zumindest Einflussmöglichkeiten auf die geldpolitische Entscheidungsfindung haben sollte. In der Industrie- und Klimapolitik schliesslich will Trump den Inflation Reduction Act (IRA) aufheben und die Ölindustrie weiter ausbauen (Drill, Baby, Drill!). Aus haushaltstechnischer Sicht werden diese Massnahmen als selbstfinanziert dargestellt: Zu den drei Billionen US-Dollar an Einnahmen, die über einen Zeitraum von zehn Jahren durch die Erhöhung der Zölle erwartet werden, käme eine Billion US-Dollar an Einsparungen aus der Beendigung des IRA-Subventionsprogramms, um die vier Billionen US-Dollar an Einnahmeverlusten durch die Steuersenkungen auszugleichen. Dieses Programm würde das Wachstum im Jahr 2025 um mehr als einen Punkt schmälern und zu einem erheblichen Anstieg der Inflation führen. Das würde vorwiegend die weniger wohlhabenden Haushalte treffen, die auf einen Anstieg der Preise für importierte Waren empfindlicher reagieren. Ausserdem würde sich der Haushaltssaldo in den nächsten zehn Jahren erheblich verschlechtern: Die Staatsverschuldung würde im Jahr 2034 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen – im Gegensatz zu den 122 Prozent, die das Congressional Budget Office im Juni 2024 in seinem Referenzszenario genannt hat. Natürlich würde ein Handelskrieg auch Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Insbesondere könnte dies die Eurozone an den Rand einer Rezession stürzen.

Harris: Make the Middle Class Happier
Kamala Harris führt hingegen das Programm Bidens fort – ihr Programm enthält einen Grossteil der Massnahmen, die der aktuelle Präsident in seinem Haushaltsvorschlag für 2025 vorgeschlagen hat. Es ist ein ziemlich klassisches sozialdemokratisches Programm, obwohl Harris sich noch mehr auf Massnahmen zur Unterstützung der Mittelschicht konzentriert. Die Kandidatin verspricht unter anderem, die Gesundheitskosten zu senken, Steuergutschriften für die am stärksten Benachteiligten zu erhöhen und Familienbeihilfen anzuheben, um «Millionen von Kindern» aus der Armut zu holen. Um den Zugang zu Wohneigentum zu fördern, schlägt sie die Einführung einer Steuergutschrift in Höhe von 25’000 US-Dollar für Erstkäufer vor – eine Massnahme, die sich bei einem bereits jetzt unzureichendem Wohnungsangebot als unnötig kostspielig für den Haushalt erweisen könnte. Bei Klimafragen reagiert die Kandidatin eher ausweichend und erklärt, dass sie die Entwicklung einer auf sauberen Energien basierenden Wirtschaft vorantreiben will, ohne jedoch Fracking zu verbieten. Hier muss erwähnt werden, dass Pennsylvania, einer der wahlentscheidenden «Swing States», ein wichtiger Produzent von Schiefergas ist. Dieses wird überwiegend durch Hydraulic Fracturing (Fracking) gewonnen. Alles in allem dürften die öffentlichen Ausgaben in den nächsten zehn Jahren um etwa drei Billionen US-Dollar steigen. Diese Kosten sollen durch eine Steuererhöhung für die Reichsten und eine Anhebung des Unternehmenssteuersatzes von 21 Prozent auf 28 Prozent finanziert werden. Neben den erwarteten zusätzlichen Steuereinnahmen in Höhe von fünf Billionen US-Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren würde das Projekt auch zu Einsparungen in Höhe von einer Billion US-Dollar führen, insbesondere dank der niedrigeren Arzneimittelpreise. Die Staatsverschuldung wird sich damit deutlich günstiger entwickeln als bei einer unveränderten Politik: Die Quote würde sich dann bei etwa 110 Prozent des BIP einpendeln. Dieses Ergebnis erscheint jedoch optimistisch: Wie Biden möchte auch Harris die Ende 2025 auslaufenden Steuersenkungen nur für Haushalte verlängern, die weniger als 400’000 US-Dollar pro Jahr verdienen. Diese Massnahme würde den Haushalt in den nächsten zehn Jahren 2,8 Billionen US-Dollar kosten, und die Demokraten haben nicht gesagt, wie sie diese Kosten finanzieren wollen. Wahrscheinlicher ist daher, dass die Staatsverschuldung auf ihrem derzeitigen Kurs bleibt und bis 2034 allmählich auf knapp über 120 Prozent ansteigen wird. Harris‘ Programm würde die Wirtschaftstätigkeit ankurbeln, hauptsächlich durch eine Umverteilung zugunsten der weniger wohlhabenden Amerikaner, die verhältnismässig mehr ausgeben als die Haushalte am oberen Ende der Skala.

Anleger sollten Extremszenarien im Blick behalten
Beide Programme sind natürlich nur Wahlversprechen, und ihre Umsetzung wird nicht nur von dem gewählten Kandidaten, sondern auch von der Farbe des Kongresses abhängen. Ohne eine Mehrheit des Siegers im Kongress wird die Diskrepanz zwischen den Wahlprogrammen und den Ergebnissen wahrscheinlich beträchtlich sein. Es gibt jedoch zwei Szenarien, die zu besonders grossen Marktverwerfungen führen könnten: In der ersten Variante würde Trump die Wahl gewinnen, die Mehrheit im Kongress erringen und seine extremsten Versprechen umsetzen. Im zweiten Fall würde Harris mit knappem Vorsprung gewinnen und hätte keine Mehrheit im Kongress. Trumps glühendste Anhänger würden das Wahlergebnis anfechten und es käme zu einer Phase sozialer Instabilität, gepaart mit einer handlungsunfähigen Regierung. Beide Szenarien würden zu einer sehr unterschiedlichen Geldpolitik führen. Im ersten Fall wäre die Zentralbank nicht in der Lage, die durch Donald Trumps Migrationspolitik ausgelöste steigende Inflation sowie die damit verbundenen Spannungen auf dem Arbeitsmarkt zu ignorieren. Sie hätte keine andere Wahl, als die Zinsen anzuheben – trotz einer sich verlangsamenden Wirtschaftstätigkeit. Im zweiten Fall würden die Währungshüter angesichts der anhaltenden Konjunkturschwäche die Zinsen senken, und zwar umso massiver, je schneller die Liquidität auf den Märkten einzufrieren droht. Obwohl die Wahrscheinlichkeit dieser «ungünstigen» Szenarien mit etwa 20 Prozent relativ gering erscheint, wäre es für Anleger gefährlich, sie völlig zu ignorieren.

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