Warum europäische Bankanleihen outperformen könnten

Nach der Zwangsfusion der Credit Suisse mit der UBS und der Totalabschreibung ihrer zusätzlichen Tier-1-Anleihen stand der europäische Bankensektor in den letzten Monaten im Zentrum des Sturms, der über die Finanzmärkte fegte.

In Kombination mit den öffentlichkeitswirksamen Insolvenzen verschiedener US-Regionalbanken sorgten die Turbulenzen dafür, dass sich die Stimmung gegenüber dem Sektor eintrübte. In der Folge entwickelten sich europäische Finanztitel schlechter als europäische Investment-Grade-Unternehmensanleihen aus anderen Sektoren. Doch europäische Finanzwerte weisen unserer Ansicht nach solide Fundamentaldaten auf, während seine Robustheit in den aktuellen Bewertungen nicht eingepreist ist. Wir sehen daher attraktive Chancen in diesem Sektor.

Europäische Bankwerte weisen attraktive Kreditspreads auf
Nach dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) und der Zwangsfusion der Credit Suisse weiteten sich die Spreads europäischer Bankanleihen zunächst aus. In der Folge entwickeln sich europäische Finanzwerte seit einiger Zeit schwächer als Nicht-Finanzanleihen beispielsweise aus den Sektoren Industrie und Versorgung (Abbildung 1). Während diese Underperformance inzwischen teilweise wieder aufgeholt wurde, erwarten wir eine weitere Korrektur, da der europäische Bankensektor solide Fundamentaldaten aufweist und sich das technische Umfeld aus verschiedenen Gründen, die wir im Folgenden näher erläutern werden, im zweiten Halbjahr verbessern dürfte.

Europäische Finanzwerte entwickeln sich unterdurchschnittlich:

Abb. 1: Optionsbereinigte Spread-Differenz zwischen Finanz- und Nicht-Finanzwerten. Bildnachweis: Bloomberg

Europäische Banken sind in vielerlei Hinsicht anders aufgestellt als US-Regionalbanken
Einer der Gründe, warum europäische Bankwerte zuletzt hinter dem Gesamtmarkt zurückblieben, liegt in der weitverbreiteten Auffassung, dass europäische Banken mit ähnlichen Risiken behaftet sind wie US-Regionalbanken. Doch gibt es einige wichtige Unterschiede. Erstens der Konzentrationsgrad: Der europäische Bankensektor ist viel stärker konzentriert als der US-Markt, an dem mehr als 4‘000 Banken agieren. Im Allgemeinen sind Märkte, an denen es weniger Banken gibt, weniger anfällig für eine Einlagenflucht, da die Kunden weniger Möglichkeiten haben, zu anderen Instituten zu wechseln.

Zweitens die Struktur: Der europäische Bankenmarkt ist eine Ansammlung aus vielen verschiedenen nationalen Bankenmärkten, die tendenziell von den jeweils besten Instituten dominiert werden. Sie weisen in der Regel einen stark diversifizierten Geschäftsmix und eine breit gefächerte Einlagenbasis auf – im Gegensatz zur SVB, deren Einlagenbasis stark auf einen bestimmten Sektor konzentriert war. Darüber hinaus zählen viele führende europäische Institute trotz ihrer relativ geringen Grösse aus nationaler Sicht mitunter zu den grössten Banken, die von der Flucht in Qualität potenziell sogar profitieren. Im Gegensatz dazu sind die meisten US-Regionalbanken auch auf nationaler Ebene eher klein, weshalb sie potenziell anfälliger sind für eine Einlagenflucht, wenn das Vertrauen erschüttert wird.

Mit Blick auf das zweite Halbjahr 2023 glauben wir, dass die technischen Voraussetzungen für den europäischen Finanzsektor gut sind, um eine Outperformance gegenüber anderen Finanzwerten zu erzielen.

David Stanley, Portfolio Manager, T. Rowe Price

Drittens die Regulierung: Die europäischen Banken werden strenger reguliert als US-Regionalbanken. So wurde in Europa unlängst eine Verordnung erlassen, die sich mit Zinsänderungsrisiken im Bankensektor befasst, um zu verhindern, dass die europäischen Institute zu hohen Risiken in Verbindung mit bis zur Endfälligkeit gehaltenen Anlagen ausgesetzt sind, indem diese zum Marktwert bewertet werden und somit aufgrund der Anpassung des beizulegenden Zeitwerts nur geringe Auswirkungen auf das Eigenkapital haben. Zudem tätigen die europäischen Banken aufgrund dieser Verordnung mehr Zinsabsicherungsgeschäfte.

Das technische Umfeld dürfte den Sektor stützen
Wir gehen davon aus, dass sich das technische Umfeld für den Finanzsektor im Vergleich zu anderen Sektoren verbessert. Zum einen haben die Banken ihre Emissionen auf den Jahresbeginn vorgezogen, und zum anderen dürfte ihr Kreditbestand infolge der Konjunkturschwäche weniger stark wachsen. Daraus folgt, dass die Banken im zweiten Halbjahr 2023 weniger Neuemissionen vornehmen müssen – im Gegensatz vielen Nicht-Finanzunternehmen, die 2022 und in der ersten Jahreshälfte 2023 weniger Schuldtitel begeben haben, weshalb die Neuemissionen im zweiten Halbjahr zur Deckung des Finanzierungsbedarfs steigen dürften. Zudem werden Nicht-Finanzsektoren wie Industrie und Versorgung einen natürlichen Käufer verlieren, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) ab Juli ihre Kaufprogramme für Unternehmensanleihen reduziert. Dies ist bei Finanzanleihen nicht der Fall, da sie nie Teil der EZB-Programme waren. Insgesamt glauben wir, dass diese Angebots- und Nachfragedynamik eine Outperformance des Finanzsektors gegenüber anderen Sektoren in der zweiten Jahreshälfte begünstigt.

Titelauswahl spielt wesentliche Rolle
Auch wenn wir den europäischen Finanzsektor insgesamt optimistisch einschätzen, gilt dies doch nicht für alle Teilsegmente, weshalb eine durchdachte Titelauswahl weiterhin entscheidend ist. So schätzen wir etwa Banken, die stark am Gewerbeimmobilienmarkt engagiert sind, vorsichtig ein, während wir beispielsweise isländische Banken für vielversprechend halten, da sie insgesamt über eine solide Kapital- und Liquiditätsausstattung verfügen und in diesem Jahr von einem soliden Wirtschaftswachstum profitieren dürften, da sich der Tourismussektor erholt. Ebenfalls für attraktiv halten wir bestimmte spanische Banken, die von der starken Konzentration des Sektors und davon profitieren dürften, dass ein grosser Anteil der Wohnungsbaudarlehen variabel verzinst ist.

Mit Blick auf das zweite Halbjahr 2023 glauben wir, dass die technischen Voraussetzungen für den europäischen Finanzsektor gut sind, um eine Outperformance gegenüber anderen Finanzwerten zu erzielen. Zusätzlich gestützt wird der Sektor durch attraktive Bewertungen und im Grossen und Ganzen robuste Fundamentaldaten, was in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche und höherer Zinsen besonders wichtig ist.

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