KI rettet Amerika – vorerst

Die Weltwirtschaft befindet sich weiterhin in einer Phase erhöhter Turbulenzen, zwischen Deglobalisierungstendenzen und zunehmenden geopolitischen Risiken. Zuletzt hat sich der globale Ausblick jedoch leicht aufgehellt: Niedriger ausfallende US-Zölle haben dazu beigetragen, die Unsicherheit etwas zu verringern und die Wachstumsperspektiven zu stabilisieren. Was bedeutet das für die US-Wirtschaft und wie verhält es sich mit der Begeisterung für die Künstliche Intelligenz (KI) am globalen Aktienmarkt?

Für die USA bleibt der wirtschaftliche Ausblick trotz signifikanter Herausforderungen insgesamt verhalten positiv. Eine Rezession ist derzeit nicht in Sicht, auch wenn die Handelskonflikte und rückläufige Realeinkommen die konjunkturelle Dynamik dämpfen und das Konsumentenvertrauen senken. Der Arbeitsmarkt präsentiert sich auf den ersten Blick stabil, die Arbeitslosenquote ist niedrig. Doch wir sehen im Hintergrund auch strukturelle Schwächen. Der Zuwachs an neuen Arbeitsplätzen liegt auf einem historisch niedrigen Niveau, was auf eine sinkende Nachfrage nach Arbeitskräften hinweist. Gleichzeitig nimmt jedoch auch das Arbeitsangebot ab. Die Verschärfung der Einwanderungspolitik, einschliesslich massenhafter Abschiebungen, könnte den Zugang zu Arbeitskräften in Schlüsselbranchen erschweren. Dies würde nicht nur die Kosten für Unternehmen erhöhen, sondern auch die Produktivität belasten. Dass die sinkende Nachfrage nach Arbeitskräften mit einem rückläufigen Arbeitsangebot einhergeht, kann aber dazu beitragen, dass sich der Arbeitsmarkt mittelfristig von selbst in ein neues Gleichgewicht bewegt.

Der aktuelle Investitionsboom in Künstliche Intelligenz wirkt sich langfristig positiv auf die US-Wirtschaft aus, wobei der USA in diesem Zukunftsfeld eine führende Position zukommt.

Desiree Sauer, Investment-Strategin, Lazard Asset Management

Der aktuelle Investitionsboom in Künstliche Intelligenz wirkt sich langfristig positiv auf die US-Wirtschaft aus, wobei der USA in diesem Zukunftsfeld eine führende Position zukommt. Wir gehen davon aus, dass das Produktivitätswachstum in den USA daher weiterhin deutlich stärker sein wird als in anderen Ländern.

Steigende Inflation und hohe Staatsverschuldung
Die Inflation dürfte sich nach unserer Ansicht weiter beschleunigen, getrieben durch höhere Handelszölle und ein schrumpfendes Arbeitskräfteangebot infolge restriktiverer Migrationspolitik. Zwar hat die US-Notenbank im September erste Schritte zur Stabilisierung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes unternommen, doch der Spielraum für weitere geldpolitische Lockerungen bleibt angesichts des Inflationsdrucks begrenzt, sofern nicht ein deutlicher wirtschaftlicher Abschwung eintritt. Hinzu kommt ein potenzielles Risiko für die langfristige Unabhängigkeit der Federal Reserve. Der politische Druck seitens der US-Regierung verdeutlicht das aktuelle Spannungsverhältnis zwischen geldpolitischer Unabhängigkeit und politischer Einflussnahme. Eine weitere Belastung stellt die stetig wachsende Staatsverschuldung dar, die seit der globalen Finanzkrise kontinuierlich zugenommen und die Zinslast enorm erhöht hat. Zwar sorgen Massnahmen wie der «One Big Beautiful Bill Act» für wirtschaftliche Impulse, doch das Haushaltsdefizit wird dadurch weiter ansteigen. Die Strategien der US-Regierung, die Einnahmen des Staates zu erhöhen, darunter die erhöhten Zolleinnahmen, Kostensenkungsprogramme wie das DOGE-Programm und die Forderung nach niedrigeren Zinsen, könnten die Lage etwas entschärfen. Ob sie eine nachhaltige Lösung darstellen, ist jedoch fraglich. Dank des Status des US-Dollars als globale Reservewährung und des weiterhin bestehenden, wenn auch aufgrund der politischen Lage etwas geschwächten Anlegervertrauens, ist eine akute Staatsschuldenkrise kurz- bis mittelfristig dennoch nicht zu erwarten.

Was bedeutet das für Anleger?
Die Vielzahl an handelspolitischen und geopolitischen Unsicherheiten dürfte nach unserer Einschätzung Sauers auch künftig für erhöhte Volatilität an den Kapitalmärkten sorgen. Dennoch bleiben wir für Aktien insgesamt positiv gestimmt, auch wenn es nach der starken Rallye der vergangenen Monate schwerfällt, mit weiteren deutlichen Kursgewinnen zu rechnen. Das Thema Künstliche Intelligenz dürfte voraussichtlich auch in den kommenden Quartalen das dominierende Anlagethema bleiben. Besonders US-amerikanische und chinesische Aktien profitieren von diesem Trend, da der massive Ausbau im Bereich Kl branchenübergreifend wirtschaftliche Strukturen verändert und so zu Produktivitätsgewinnen führt. Bei allem Optimismus und starkem Kapitalzufluss gilt es jedoch, die Risiken im Blick zu behalten. Entscheidend für den zukünftigen Kl-Erfolg wird die Monetarisierung dieser Investitionen sein. Für Euro-Investoren stellt sich zudem die Frage, ob eine mögliche weitere Abwertung des US-Dollars potenzielle Gewinne aus US-Aktien schmälern oder sogar vollständig neutralisieren könnte. Europa liegt bei der Kl-Entwicklung zwar deutlich hinter den USA und China, zeigt jedoch positive Dynamiken. Die Inflation ist eingedämmt, Unternehmensberichte fallen solide aus und europäische Aktien sind im Vergleich zu US-Titeln deutlich günstiger bewertet. Gleichwohl sehen wir Herausforderungen, etwa durch Zölle, den starken Euro (für Exportunternehmen) und den zunehmenden Wettbewerbsdruck aus Asien. Ein Fokus auf Qualität erscheint uns deshalb sinnvoll.

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