ESG-Daten sind oft zu wenig aussagekräftig und nicht standardisiert – sofern sie überhaupt zur Verfügung stehen

In der europäischen Anlageberatung werden aktuell neue Möglichkeiten für nachhaltige Anlagechancen geprüft. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass sich die Rahmenbedingungen der Asset Allokation ändern, ebenso wie die Art und Weise, wie sich Investoren mit Nachhaltigkeitsthemen befassen.

Um die sich entwickelnde Dynamik zu bewerten und zu verstehen, hat J.P. Morgan Asset Management im Frühsommer 2022 1'000 europäische Anlageberater befragt. Ziel der «Future Focus Survey – Nachhaltige Investmenttrends in Europa» war es, die Herausforderungen und Chancen rund um die nachhaltige Anlageberatung zu verstehen, Veränderungen in der geplanten nachhaltigen Allokation zu ermitteln und nicht zuletzt aufzuzeigen, welche Faktoren aktuell das Verhalten der Endkunden beeinflussen.

Von «E» zu «S»
Die Befragung zeigt, dass sich die ESG-Prioritäten in der europäischen Anlageberatung vom traditionellen Fokus auf Umweltthemen (dem «E» in ESG) zunehmend auf die Priorisierung sozialer Themen (das «S») verlagern. So wird die finanzielle Relevanz beider Faktoren zunehmend anerkannt. Ein Grossteil der europäischen Anlageberater ist sich der ökologischen Herausforderungen und der Rolle von Portfolioentscheidungen bei deren Bewältigung bewusst: Mehr als 93 Prozent der Befragten beziehen heute ESG-Faktoren in ihren Entscheidungsprozess ein.

Es zeigt sich, dass der Markt für nachhaltige Investments in einer Transformationsphase ist, da Investoren immer besser verstehen, was ESG-Anlagen leisten können und was nicht.

Jennifer Wu, Global Head of Sustainable lnvesting, J.P. Morgan Asset Management

Die tatsächliche Asset-Allokationsentscheidung der von ihnen beratenen Endanleger wird laut 33 Prozent der Befragten von den ESG-Anforderungen des jeweiligen Kunden bestimmt. 31 Prozent gaben an, dass Anleger damit ihre Investitionen an ihren persönlichen Überzeugungen ausrichten wollen. Laut 28 Prozent der befragten Berater wollen die Anleger mit ihren Investments etwas Positives bewirken und setzen deshalb verstärkt auf nachhaltige Investments. Weitere 27 Prozent gaben an, dass die Allokation ihrer Kunden vor allem durch den Wunsch nach potenziell höheren risikobereinigten Erträgen getrieben sei. Und 22 Prozent der Befragten gaben den «Zugang zu Unternehmen, die langfristiges Ertragspotenzial bieten könnten» als wichtigsten Allokationsgrund an.

Weiteres Wachstumspotenzial in Europa
Im europäischen Vergleich zeigen sich hierbei regionale Unterschiede, beispielsweise ist die Kundennachfrage nach ESG-lnvestments in Grossbritannien mit 50 Prozent deutlich höher als in Spanien, wo es mit 24 Prozent nur jeder Vierte ist. In Deutschland liegt die Nachfrage mit einem Drittel im Durchschnitt. Während die Nachfrage nach nachhaltigen Anlagestrategien gross ist und stetig weiter zunimmt, ist die tatsächliche Allokation, gemessen am Anteil des gemanagten Vermögens der Befragten, mit einem europäischen Durchschnittswert von 23 Prozent noch ausbaufähig. Führend ist Finnland, mit 33 Prozent Allokation, während UK mit 10 Prozent das Schlusslicht darstellt. Deutschland liegt mit 21 Prozent knapp unterhalb des Durchschnittswerts. Interessanterweise zeigt die Befragung, dass es grössere Abweichungen innerhalb der Länder als Unterschiede zwischen den Ländern zu geben scheint. Die Berater sollten sich also auf die spezifischen Bedürfnisse einzelner Kunden fokussieren. Insgesamt erwarten 27 Prozent der Befragten, dass die mit der Zeit wachsende Erfolgsbilanz der ESG­lnvestments und 26 Prozent, dass weitere Belege für den tatsächlichen Impact der EGS-lnvestments die Allokation weiter ansteigen lässt.

Regionale Diversifizierung der nachhaltigen Investmentallokation
In Bezug auf die ESG-Allokation zeigt die Befragung, dass Aktien als traditionelle und führende Anlageklasse für nachhaltige Investments in den nächsten fünf Jahren weiterhin die Nase vorn haben sollten. Auch wenn die Berater erwarten, dass die Allokation mittelfristig leicht um 2 Prozent zurückgehen wird, sollte diese weiterhin den grössten Anteil ausmachen. Parallel sollte die Allokation in Multi-Asset- bzw. alternative Investmentstrategien, die thematische und Impact-orientierte Ziele verfolgen, weiterwachsen. Vor allem aber werden die ESG-lnvestments internationaler und es sollen Chancen in weiteren Regionen wahrgenommen werden. So lässt die Befragung eine grundlegende Verlagerung der Portfolioallokation in Richtung Schwellenländer einschliesslich China erwarten, wobei 26 Prozent bereits im nächsten Jahr eine Allokation in der Region planen und 40 Prozent innerhalb der nächsten fünf Jahre dort investieren wollen. Die ESG-Allokation in US-Aktien sollte in den nächsten fünf Jahren konstant bleiben, während für die ESG· Investments in Europa (ohne Grossbritannien) mittelfristig weniger Chancen erwartet werden, weshalb die Allokation um 7 Prozent zurückgehen dürfte.

Stärkere Nutzung von ETFs für nachhaltige Investments
Auch bei den präferierten Anlagevehikeln für ESG-lnvestments wird es Veränderung geben. In den nächsten 12 Monaten will die Hälfte der Befragten die Nutzung von Investmentfonds erhöhen, der Anteil soll mittelfristig über die kommenden fünf Jahre um weitere 8 Prozentpunkte ansteigen. Mittelfristig wird die ESG-Allokation auch noch stärker über ETFs erfolgen. 51 Prozent der Befragten planen, die ESG·Allokation über aktive und passive nachhaltige ETFs zu verstärken.

Datenlage bleibt herausfordernd
Als Herausforderungen nennen die befragten europäischen Anlageberater vor allem ein Thema, das ihnen nachhaltiges Anlegen erheblich erschwert: ESG-Daten sind oft zu wenig aussagekräftig, nicht standardisiert oder stehen häufig erst gar nicht zur Verfügung. Mit 45 Prozent gibt rund die Hälfte der Befragten an, dass Anleger unsicher sind, wo sie die besten Informationen beziehen könnten. Die gleiche Anzahl von Befragten war sich nicht sicher, welche Kennzahlen sie bei Anlageentscheidungen berücksichtigen sollten. In Deutschland ist der Anteil der Befragten sogar noch höher: 53 Prozent sehen eine Verunsicherung bezüglich der Kennzahlen und 57 Prozent das Problem der Informationsbeschaffung.

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