Rezession, ja oder nein?

Die Wirtschaft schwächt sich in fast allen Industrieländern ab. Die Zinserhöhungen der Notenbanken entfalten mit der üblichen Verzögerung ihre Wirkung. Das ist so gewollt, da nur mit einer schwächeren Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen der Inflationsschub nach Corona unter Kontrolle gebracht werden kann.

Die Frage ist nun, ob eine Rezession vermieden werden kann. Gemäss den Prognosen der meisten Konjunkturinstitute wird die Wirtschaft in diesem und zumindest im nächsten Jahr unterdurchschnittlich stark wachsen, aber nicht schrumpfen. Gemäss den Aktienmärkten, die teilweise auf historischen Höchstständen stehen, sind die Aussichten für die Firmen sehr gut. Das gilt nicht nur für den technologielastigen Nasdaq, sondern auch für Indizes mit einer starken Gewichtung der Industrie wie der Dow Jones Industrial Average oder der deutsche DAX. Gemäss den Zinserwartungen und den Renditen für Obligationen werden die Notenbanken 2024 auf eine starke Rezession mit raschen und ausgiebigen Zinssenkungen reagieren müssen. Jemand hat recht, jemand nicht. Für die Entwicklung der globalen Finanzmärkte ist es nicht entscheidend, was die Schweizer Wirtschaft macht. Vielmehr gibt Uncle Sam die Richtung vor, weshalb ich mich in den nachfolgenden Ausführungen auf die USA konzentriere. Das Bild aus den USA lässt sich aber ziemlich genau auch auf andere Regionen und Länder übertragen.

Rezession im Industriesektor – expansiver Dienstleistungssektor
Wenn man die Industrie isoliert betrachtet, dann befindet sich die US-Wirtschaft in einer Rezession. Der vom ISM-Institut ermittelte Einkaufsmanagerindex der US-Industrie liegt schon seit längerem unter der Schwelle von 50 Punkten, die eine Schrumpfung des industriellen Sektors anzeigt. Mit aktuell 46.8 Punkten liegt er auch unter der Marke von 47 Punkten, welche als Grenze für eine Rezession der gesamten Wirtschaft interpretiert wird. Schlecht sind der Auftragsbestand und vor allem die Auftragseingänge. Das verheisst nichts Gutes für das erste Halbjahr des nächsten Jahres. Auf der anderen Seite hält sich der ISM-Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor mit 52.7 Punkten stabil im expansiven Bereich, getrieben unter anderem durch die Auftragseingänge. Die Dienstleistungsunternehmen stellen weiterhin neue Leute ein. Das zeigt sich auch an den Arbeitsmarktstatistiken. Die Zahl der Offenen Stellen nimmt zwar ab, liegt aber immer noch auf einem historisch gesehen überdurchschnittlich hohen Niveau. Die Arbeitslosenrate ist stabil tief und die Löhne steigen solide an.

Für die Entwicklung der globalen Finanzmärkte ist es nicht entscheidend, was die Schweizer Wirtschaft macht. Vielmehr gibt Uncle Sam die Richtung vor.

Thomas Stucki, Chief Investment Officer, St.Galler Kantonalbank

Die Stimmung bei den US-Konsumenten ist dennoch schlecht. Das zeigen sowohl wirtschaftlich als auch politisch motivierte Umfragen. Steigende Preise, ein wachsendes Ungleichgewicht in der Gesellschaft und die Untergangsszenarien der konservativen Medien und Politiker trüben die Stimmung. Die Leute haben aber einen Job, steigende Einkommen und geben das Geld mit vollen Händen aus. Im dritten Quartal stieg der Private Konsum um annualisierte 3.6%. Die Fed Atlanta berechnet ein sogenanntes «GDPNow», welches das aktuelle Wachstum widerspiegelt. Dieses ist nicht mehr auf dem hohen Niveau von 5% wie im dritten Quartal, aber immer noch bei 2.6%, Tendenz steigend.

Trendumkehr zum Besseren
Die Abschwächung der Konjunktur wird in den USA, aber auch in der Schweiz im ersten Halbjahr 2024 weitergehen. Eine starke und tiefgreifende Rezession sehe ich im konjunkturellen Datenkranz jedoch nicht. Vielmehr erwarte ich eine Trendumkehr zum Besseren, wenn der Lagerabbau im industriellen Sektor zu Ende geht. Dafür gibt es bereits erste Anzeichen. Ob die Aktien- oder die Zinsmärkte mit ihrer Einschätzung der Wirtschaft recht haben, wird man im nächsten Jahr sehen. Ich tippe auf die Aktien.

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