Entscheidet die Inflation das Ergebnis der US-Halbzeitwahlen in 2022?

Die Pandemie hat ihre Spuren in der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hinterlassen. Aufgrund der engen Zusammenarbeit der Regierungen und Notenbanken bei der Bekämpfung der durch die Pandemie aufgekommenen Externalitäten und Kosten, sind die Bereiche der Politik und Wirtschaft teilweise miteinander verschmolzen. Die beidseitige Abhängigkeit könnte die Marktvolatilität vor dem Hintergrund der erwarteten Straffung der Geldpolitik und der bevorstehenden Halbzeitwahlen in den Vereinigten Staaten im nächsten Jahr nach oben treiben.

Die demokratische Partei um den US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden hat derzeit mit einem Branding-Problem zu kämpfen. Die Inflation befindet sich auf dem höchsten Niveau seit 1982, die Schuldenquote ist auf einem Allzeithoch, die Energie- und Gaspreise sind während der vergangenen Monate rasant angestiegen, und die Verbreitung der Omikronvariante führt zu erneuten Restriktionen des öffentlichen Lebens. Laut jüngsten Umfragen machen die Wähler die demokratische Partei für einen Teil dieser Entwicklungen verantwortlich, welche die Mehrheit im Senat und Repräsentantenhaus innehält und ebenfalls den Präsidenten stellt. Insbesondere die höheren Verbraucherpreise machen den Wählern zu schaffen. Mehr als zwei Drittel der von ABC News und Ipsos befragten Wähler missbilligen Joe Bidens Umgang mit dem Inflationsthema.

In den 1970er Jahren und namentlich den 1976 und 1980 abgehaltenen Präsidentschaftswahlen wurde die rekordhohe Inflation den beiden amtierenden Präsidenten zum Verhängnis.

Boris Kovacevic, Leiter Währungs- und Makroanalyse, Western Union Business Solutions

Man müsste einige Jahre in der Zeit zurück gehen, um US-amerikanische Wahlkämpfe zu finden, in denen die Inflation ein leitendes Thema war. In den 1970er Jahren und namentlich den 1976 und 1980 abgehaltenen Präsidentschaftswahlen wurde die rekordhohe Inflation den beiden amtierenden Präsidenten zum Verhängnis. Mehr als vier Jahrzehnte später scheint jetzt dem Thema aufgrund der Lieferkettenengpässe und staatlichen Stimulusmassnahmen neues Leben eingehaucht worden zu sein. Die anfangs mehrheitlich in akademischen Kreisen geführte Inflationsdebatte hat im dritten Quartal die Realwirtschaft erreicht. Inflationsraten befinden sich in den Vereinigten Staaten auf 40-jährigen Höhen und die Konsumenten und Unternehmen bekommen dies zu spüren. Der im November von der Michigan Universität veröffentlichte Konsumklimaindex fiel auf das tiefste Niveau seit 2011. Knapp 25% der befragten Konsumenten nannten dabei die Inflation als die primäre Ursache für die Verschlechterung des Lebensstandards. Laut einer anderen Umfrage des NFIB Forschungsinstituts, welche die Trends innerhalb KMUs untersucht, haben 41% der befragten Unternehmen ihre Verkaufspreise erhöht, ein 48-Jahres-Hoch. Dies bringt politische Implikationen mit sich.

Historisch betrachtet ist der Fall der Popularität des amtierenden Präsidenten meist ein negativer Leitindikator für die jeweilige Partei bei der Halbzeitwahl.

Boris Kovacevic

Die Zustimmungsrate des US-Präsidenten ist aufgrund seines Umgangs mit kritischen Themen wie der Wirtschaft, Inflation und Problematik an der Südgrenze zu Mexiko auf den niedrigsten Stand seiner einjährigen Amtszeit gefallen. Historisch betrachtet ist der Fall der Popularität des amtierenden Präsidenten meist ein negativer Leitindikator für die jeweilige Partei bei der Halbzeitwahl. Die politische Tendenz der vergangenen Jahre, dass nationalen Wahlthemen eine höhere Aufmerksamkeit geschenkt wird als lokalen, könnte den Demokraten zu schaffen machen. Sieht man sich den derzeitigen Stand der generischen Wahlumfragen US-amerikanischer Bürger an, im Rahmen welcher sich die Wähler zwischen einer der beiden Parteien entscheiden müssen, ohne individuelle Kandidaten zu benennen, führt die republikanische Partei mit knapp zwei Punkten.

Zum ersten Mal in 40 Jahren könnte das Inflationsthema ein wichtiges Element des Wahlergebnisses darstellen.

Boris Kovacevic

Laut Berechnungen von CNN gab es seit 1938 nur zwei Perioden, bei denen die Republikaner so weit entfernt von den Halbzeitwahlen so einen grossen Vorsprung aufweisen konnten. Die Wahrscheinlichkeit eines Siegeszugs der Republikaner ist insbesondere aufgrund des engen Ergebnisses bei den vergangenen Wahlen relativ hoch. Die Partei bräuchte nur eine Stimme mehr im Senat und fünf im Repräsentantenhaus für eine absolute Mehrheit.

Ein parteiischer Wechsel der politischen Entscheidungsspitze hätte auch für die Märkte einige Implikationen. Die zwei parlamentarischen Kammern und eventuell auch das Weisse Haus könnten von zwei unterschiedlichen Parteien geführt werden. Dies reduziert die Möglichkeit von neuen Stimulusmassnahmen und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer legislativen Paralyse. Zum ersten Mal in 40 Jahren könnte das Inflationsthema ein wichtiges Element des Wahlergebnisses darstellen. Der im vierten Quartal 2021 angefangene Kampf der US-Notenbank gegen die Inflation wird sich im nächsten Jahr fortsetzen. Doch sollte die Inflation hartnäckig auf höheren Niveaus verharren, könnten die Demokraten ein böses Erwachen erleben.

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