Steigende Staatsverschuldung: Investoren könnten sich von Staatsanleihen abwenden
Steigende langfristige Anleiherenditen und die Rekordjagd des Goldpreises senden ein klares Signal: Anleger verlieren zunehmend das Vertrauen in die Tragfähigkeit staatlicher Finanzen. Der weltweite Schuldenberg wächst weiter – und das in einer Zeit, in der ein schwächeres Bevölkerungswachstum und alternde Gesellschaften die öffentlichen Haushalte künftig noch stärker belasten werden.
Der rapide Anstieg der weltweiten Staatsverschuldung könnte Investoren zu einer strategischen Neuausrichtung ihrer Vermögensallokationen veranlassen. Investoren könnten sich stärker von Staatsanleihen abwenden und vermehrt in nichtstaatliche Anlageinstrumente wie Aktien, Unternehmensanleihen oder Private Credit investieren. Eine derartige Verschiebung könnte engere und möglicherweise sogar negative Credit Spreads rechtfertigen. In einem solchen Umfeld könnten Anleger zudem Anleihen mit kürzeren Laufzeiten den Vorzug gegenüber länger laufenden Anleihen geben und vermehrt in Gold und Bitcoin investieren.
Paul Jackson, Global Head of Asset Allocation Research, InvescoIn Japan und Italien dominiert die öffentliche Verschuldung, in den Niederlanden, der Schweiz und Schweden die Unternehmensverschuldung. In Australien und der Schweiz spielt die Verschuldung der privaten Haushalte zudem eine grosse Rolle.
Derzeit sind hohe BIP-Schuldenquoten vor allem in den Industrieländern zu beobachten – mit wenigen Ausnahmen wie China, Südkorea und Thailand. Unter den entwickelten Volkswirtschaften weist Deutschland aktuell noch die niedrigste Gesamtverschuldung im Verhältnis zum BIP auf. Durch die geplante Ausweitung der Staatsausgaben könne sich das jedoch ändern. In Japan und Italien dominiert die öffentliche Verschuldung, in den Niederlanden, der Schweiz und Schweden die Unternehmensverschuldung. In Australien und der Schweiz spielt die Verschuldung der privaten Haushalte zudem eine grosse Rolle.
Der Anstieg der Schuldenquoten in den letzten Jahrzehnten begann mit der globalen Finanzkrise und wurde durch die Corona-Pandemie noch verstärkt. Den sprunghaften Anstieg der weltweiten Schuldenquote im Jahr 2020 erklärt sich mit dem gleichzeitigen Einbruch beim BIP und steigenden Staatsschulden. Dass die Schuldenquote anschliessend wieder sank, hat allein an der wirtschaftlichen Erholung gelegen, da die Schulden weiter zunahmen. Die Unternehmen haben zwar auch Schulden gemacht – für den zuletzt starken Anstieg der globalen Schuldenquote ist jedoch vor allem die steigende Staatsverschuldung verantwortlich. Und diese dürfte in den wichtigsten Volkswirtschaften weiter zunehmen. Unseren Berechnungen zufolge könnten die Schuldenquoten bis 2075 auf über 250% des BIP steigen – basierend auf IWF-Schätzungen für 2024 und der Annahme unveränderter nominaler BIP-Wachstumsraten, konstanter Primärdefizite und gleichbleibender Staatsanleiherenditen. Japan dürfte mit einer prognostizierten Schuldenquote von 334% des BIP (nach 135% im Jahr 2024) an der Spitze stehen, gefolgt von den USA (268%), Grossbritannien (265%) und Frankreich (254%). Anders als in früheren Krisen resultiert der künftige Anstieg nicht aus akuten Schocks, sondern aus strukturell hohen Primärdefiziten und gestiegenen Anleiherenditen.
Paul JacksonDemografische Entwicklungen verschärfen die Lage zusätzlich.
Demografische Entwicklungen verschärfen die Lage zusätzlich. Ein schwächeres Bevölkerungswachstum könnte das nominale BIP-Wachstum bremsen. Das würde es schwerer machen, die Schuldenquote zu senken. Gleichzeitig werden steigende Ausgaben für Renten- und Gesundheitssysteme in alternden Gesellschaften die Steuerzahler zunehmend belasten. Auch der Klimawandel droht, zur fiskalischen Dauerbelastung zu werden. Regierungen werden enorme Mittel für Klimaschutz und Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel mobilisieren müssen, zumal viele grosse Finanzzentren in Küstenregionen liegen. Schätzungen besagen, dass die jährlichen wirtschaftlichen Kosten extremer Wetterereignisse künftig auf 0,5 bis 1,0% des BIP steigen könnten (gegenüber 0,1% im Jahr 2005). Einige Modelle prognostizieren einen permanenten BIP-Verlust von 3% – oder bis zu 10% bei einer globalen Erwärmung um 5 bis 6 Grad. Das käme einem Wohlstandsverlust von etwa 20% des Pro-Kopf-Konsums gleich.
Für die Tragfähigkeit der Schulden ist vor allem die Zinslast entscheidend. Da die Zinssätze in den meisten Volkswirtschaften gestiegen sind, dürften die Nettozinsausgaben im Verhältnis zum BIP in den kommenden Jahren weiter ansteigen. Wir gehen davon aus, dass die Zinslastquote sowohl in Grossbritannien als auch in den USA bis 2075 bei über 10% liegen könnten – verglichen mit 2% bzw. 4% im Jahr 2024. Sollten Investoren für das höhere Anleiheangebot noch höhere Renditen verlangen, könnten die Schuldenquoten noch schneller steigen. Bei einem Anstieg der Renditen um 100 Basispunkte könnten die Zinskosten in beiden Ländern bis zu 19% des BIP erreichen. Ein solches Niveau halte ich für nicht tragfähig.
Theoretisch könnten Schuldenquoten durch Primärüberschüsse stabilisiert werden. Das erfordert jedoch höhere Steuern und/oder Ausgabenkürzungen – politisch kaum durchsetzbare Massnahmen, wie die jüngsten Proteste in Grossbritannien und in Frankreich gezeigt haben. Sollten sich die Staatsschulden als untragbar erweisen, könnten sogenannte Bond Vigilantes die Renditen durch Verkäufe weiter nach oben treiben – und Regierungen so zu fiskalischer Disziplin zwingen. Das könnte engere Credit Spreads rechtfertigen. Andernfalls könnte es zur Entwertung von Staatsschulden kommen, wenn Regierungen ihre Schulden nicht mehr bedienen oder die Inflation als Mittel der Entschuldung einsetzen, oder Regierungen könnten ihre Zentralbanken zu anhaltenden Anleihekäufen auffordern. Im Extremfall könnten solche Entwicklungen zu Forderungen nach einer Rückkehr zu einer Art Goldstandard führen – was erklären könnte, warum Gold derzeit so stark ist.