BVG 21: Lieber keine Reform als eine schlechte
Die Schweiz verfügt über ein etabliertes 3-Säulen-Vorsorgesystem, um die Menschen im Alter finanziell abzusichern. Die 2. Säule macht den Löwenanteil dieser drei Komponenten aus. Doch setzen sich nur wenige Personen intensiv mit ihrer persönlichen beruflichen Vorsorge auseinander. Auch in Diskussionen um die Reform des BVG spiegelt sich Unwissen. Ein neuer Bericht von UBS in Kooperation mit Pensionskassenexperten der Firma c-alm klärt über die 2. Säule und die notwendigen Reformmassnahmen auf.
Die 2. Säule (berufliche Vorsorge, BV) ist ein Zwangssparen mit dem Ziel, einen Teil des Erwerbseinkommens für den Ruhestand auf die Seite zu legen. Sie soll zusammen mit der 1. Säule (AHV) im Durchschnitt 60 Prozent des letzten Lohns ersetzen, um das Verfassungsziel eines angemessenen Lebensstandards im Alter zu ermöglichen. Laut dem Grundgedanken des Systems wird die Leistung der AHV im Umlageverfahren finanziert und die der BV im Kapitaldeckungsverfahren. Letzteres funktioniert dann reibungslos, wenn es frei von systemfremder Umverteilung ist. Also wenn die persönliche Rente aus den individuellen Einzahlungen und Erträgen finanziert und der Umwandlungssatz (UWS) basierend auf einer realistischen Lebenserwartung und Zinsgarantie berechnet wird.
Gesetzlicher Umwandlungssatz zu hoch
Das Gesetz schreibt den UWS im BVG-Obligatorium vor, aktuell 6,8 Prozent. «Aufgrund der zugrunde-liegenden Lebenserwartung verlangt dies eine Zinsgarantie von 4,8 Prozent. Das ist viel höher, als realistisch mit angemessenem Risiko erzielt werden kann», sagt Dr. Reto Leibundgut, Partner bei c-alm. Somit findet in der 2. Säule eine systemwidrige Umverteilung statt, indem Kapitalerträge der heutigen Erwerbstätigen für Rentenzahlungen abgezweigt werden. Eine Reform ist nötig, um das Gesetz mit der Realität in Einklang zu bringen. «Das grundlegende Ziel sollte die Wiederherstellung der Kapitaldeckung sein – individuelles Sparen fürs Alter mit Unterstützung des Arbeitgebers, mit maximierten Ertragschancen durch gemeinsame Risikoträgerschaft», erklärt Dr. Veronica Weisser, Vorsorgeexpertin bei UBS. Die wichtigste Stellschraube ist der UWS im BVG-Obligatorium. Diesen auf 6 Prozent zu senken, scheint mittlerweile auf breite Zustimmung zu stossen. Damit das Verfassungsziel gewahrt bleibt und Personen mit geringem Einkommen besser versichert sein werden, bedarf es zusätzlich einer Veränderung des Sparplans.
Leistungs- und Sparplan anpassen
Ein tieferer UWS führt unter gleichbleibenden Bedingungen zu einer tieferen Rente. Wenn mehr Kapital angespart wird – durch eine längere Beitragszeit oder höhere Beiträge – kann allerdings mehr Altersguthaben angehäuft werden und so das Rentenniveau erhalten bleiben. Um Personen mit tiefem Einkommen besser abzusichern, sind der Koordinationsabzug und die Eintrittsschwelle die richtigen Stellschrauben. Da die Reduktion des UWS sofort greift und die rentenverbessernden Massnahmen nur über Zeit wirken, bedarf es Ausgleichsmassnahmen für die betroffenen Übergangsgenerationen.
Ausgleich für reformbedingt benachteiligte Personen
«Jeglicher Ausgleich bedeutet mehr Kosten und somit eine Verlängerung der systemfremden Umverteilung, die von den jüngeren Generationen getragen werden müssen», gibt Jackie Bauer, Ökonomin bei UBS, zu bedenken. Deshalb ist es wichtig, die Ausgleichsmassnahmen zielgerichtet und massvoll zu gestalten. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass etwa 95 Prozent der Vorsorgeeinrichtungen überobligatorisch versichern, sodass die Reform des BVG-Obligatoriums die Versicherten kaum oder gar nicht betreffen dürfte. Denn wer den Schritt ins Überobligatorium in den letzten Jahren gemacht hat, hat eine Reform schon vorweggenommen. Diese Vorsorgeeinrichtungen taten dies bewusst, damit die Versicherten mehr Alterskapital anhäufen, das dann mit einem fairen UWS verrentet werden kann. Aus diesem Grund sollten Kompensationen auf diejenigen Personen begrenzt sein, die durch eine Reform schlechter gestellt würden, und auch nur in dem Umfang, in dem sie effektiv benachteiligt sind. Eine Kompensation ist dann passgenau und systemtreu, wenn das Anrechnungsprinzip eingehalten und das obligatorisch vorhandene Altersguthaben berücksichtigt wird. Mit einer Kompensation basierend auf diesen beiden Kriterien kann das Altersguthaben jeder Person gezielt so aufgebessert werden, dass trotz tieferem UWS die gleiche Rente resultiert.
Dezentrale Finanzierung des Ausgleichs
Jede Vorsorgeeinrichtung muss Rückstellungen für Pensionierungsverluste bilden und sollte somit in der Lage sein, diese Rückstellungen für Kompensationszahlungen zu nutzen. Wird die Kompensation zentral über eine Organisation administriert, müssen sich alle Versicherten daran beteiligen, auch diejenigen, deren Vorsorgeeinrichtung die Hausaufgaben schon gemacht haben und die dadurch in der Vergangenheit schon zur Kasse gebeten wurden. Es würde einer Ausweitung der Umverteilung gleichkommen und den administrativen Aufwand erhöhen.
Lieber keine Reform als eine schlechte
Es braucht keine Reformen um jeden Preis, sondern es braucht eine Reform, die gezielt die Umverteilung begrenzt und gleichzeitig allen eine gute Versicherungsgrundlage heute und in Zukunft bietet. «Die derzeitigen Reformdiskussionen können zu einem stabileren und gerechteren System der beruflichen Altersvorsorge führen. Aber nur, wenn wir damit dem Kapitaldeckungsprinzip wieder näherkommen», erläutert Silvan Gamper, Pensionskassenexperte bei c-alm. Durch einen tieferen UWS würden die Renten zwar niedriger, aber dafür rechnerisch korrekter und finanziell nachhaltiger sein. Sie würden darauf basieren, was wir ansparen und wie lange wir eine Rente beziehen. Eine Senkung auf 6 Prozent ist der mindestens notwendige Schritt. Zudem gibt es Massnahmen, die diese Reduktion auffangen können. Um die obligatorischen Leistungen zu erhalten, sollte der Sparbeginn ab dem Alter von 20 Jahren festgelegt werden. Die Beitragssatzstruktur kann entsprechend angepasst werden, die aktuell diskutierten 9/14 Prozent sind akzeptabel und würden die starke Altersprogression brechen. Damit Geringverdiener mehr Altersguthaben anhäufen, sollte die Eintrittsschwelle reduziert und der Koordinationsabzug angepasst werden. Bei letzterem sollte aber eine Obergrenze beibehalten werden, um Besserverdiener nicht zu verteuern. Zuletzt ist bei den Kompensationsmassnahmen Fingerspitzengefühl und Realismus gefragt. Die Vorsorgeeinrichtungen sind in der Lage, dies eigenständig und fair zu gestalten und sollten diesen Spielraum und das Vertrauen auch erhalten.