Schweizer Pharmaindustrie unter Druck – Klumpenrisiko USA?

Die Pharmaindustrie ist der Wachstumsmotor der Schweiz. Sie erwirtschaftet fast 10 Prozent des Bruttoinlandprodukts, trägt seit 2020 rund 40 Prozent zum jährlichen Wirtschaftswachstum bei und generiert über die Hälfte aller Exporte. Besonders stark ist die Abhängigkeit vom US-Markt. Rund 28 Prozent der Pharmaexporte gehen in die USA.

Gemäss den Ökonomen von Raiffeisen Schweiz spiegelt dieser Wert die tatsächliche Bedeutung nicht wider: Rund die Hälfte des Handelsüberschusses der Pharmabranche entfällt auf die USA und viele Firmen erzielen dort den Grossteil ihres Umsatzes. Damit sind die USA Schüsselmarkt und Achillesferse zugleich – denn der Markt steht unter starkem politischem Druck. Eine Analyse der Ökonomen von Raiffeisen Schweiz zeigt, welche Faktoren die Abhängigkeit vom US-Markt prägen und wie sich der grosse politische Druck auf die hiesigen Pharmaunternehmen auswirkt.

USA sind bei Medikamenten eine Hochpreisinsel
Die US-Regierung verfolgt zwei Ziele: die Rückverlagerung der Produktion in die USA und die Senkung der Medikamentenpreise. Insbesondere die Senkung der Medikamentenpreise ist populär, denn sie gehören zu den höchsten der Welt. Insgesamt zahlen US-Amerikaner rund 178 Prozent mehr für Medikamente als der globale Durchschnitt, bei Originalprodukten sogar 322 Prozent mehr. Selbst im Vergleich zur hochpreisigen Schweiz sind patentgeschützte Produkte in den USA noch 239 Prozent teurer. Der Hauptgrund für die hohen Preise liegt im fragmentierten Versicherungssystem, das es Krankenkassen und Vermittlern erlaubt, intransparent Preise und Rabatte durchzusetzen. Neben der Androhung von Sektorzöllen von bis zu 250 Prozent wurden die grossen Pharmafirmen aufgefordert, die Preise zu senken.

Bereits heute beschäftigen Schweizer Pharma- und Chemieunternehmen über 60’000 Personen in den USA.

Fredy Hasenmaile, Raiffeisen-Chefökonom

Zölle sind einigermassen verkraftbar
Die beiden Ansätze sind jedoch ökonomisch widersprüchlich, da Zölle die Preise erhöhen, während eine Preisregulierung sie senken soll. Das erklärt auch, weshalb Pharmaprodukte bislang grösstenteils noch von den verhängten Zollmassnahmen ausgeschlossen sind. «Zölle wären nur bedingt zielführend, da sie sich durch strategische Anpassungen der Lieferketten oder die Endverpackung in Ländern mit niedrigeren Zöllen teilweise umgehen lassen. Zudem sind sie kein geeignetes Mittel, um die Produktion nachhaltig zurückzuholen. Der Aufbau neuer Produktionsstätten in den USA dauert Jahre, ist teuer und der Genehmigungsprozess ist langwierig und komplex», sagt Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz.

Preisregulierungen hätten grössere Auswirkungen
Preissenkungen sind politisch schwieriger zu erreichen, hätten aber weitreichende Folgen. Die Einführung eines sogenannten «Meistbegünstigungsprinzip» würde bedingen, dass die Medikamentenpreise an den niedrigsten Preis gekoppelt werden, der in einem anderen entwickelten Land verlangt wird. «Preisregulierungen stellen für Schweizer Pharmaunternehmen das deutlich grössere Risiko dar, denn sie würden nicht nur die Margen belasten, sondern könnten auch zu erheblichen Umsatzeinbussen führen», so Hasenmaile. Hinzu kommt, dass sie die Innovationskraft gefährden. «In Europa, das als Referenzmarkt für die USA dient, könnte es zu einer Erhöhung der Preise kommen. Um zu vermeiden, dass niedrige Preise in Europa als Referenz für die USA dienen, könnten Unternehmen die Markteinführung neuer Produkte verzögern.»

Kompromiss als wahrscheinlichstes Szenario
Am wahrscheinlichsten ist gemäss den Raiffeisen Ökonomen eine Kompromisslösung in Form von keinen oder moderaten Sektorzöllen in Kombination mit selektiven, verkraftbaren Preisnachlässen und Investitionszusagen. So könnten die Pharmaunternehmen anbieten, die Preise für Produkte zu senken, für die in Kürze der Patentschutz ausläuft. Die Trump-Regierung könnte diesen «Deal» als innenpolitischen Erfolg verkaufen. Für die Schweizer Pharmaindustrie bedeutet das leicht sinkende Margen im US-Geschäft und mittelfristig eine teilweise Verlagerung von Produktionsschritten in die USA, um Risiken zu reduzieren. Forschung und Entwicklung würden voraussichtlich in der Schweiz bleiben. «Die Folgen wären geringere Exporte und Investitionen, aber keine strukturelle Krise. Gleichzeitig würde sich der ohnehin schon laufende Dezentralisierungsprozess beschleunigen. Denn geopolitische Spannungen und die Corona-Pandemie haben die Verwundbarkeit globaler Lieferketten offengelegt», so Hasenmaile. Die gesamte Pharmaindustrie hat darauf mit einer stärkeren Regionalisierung reagiert. Produktionsschritte werden zunehmend näher an die jeweiligen Märkte verlagert. Bereits heute beschäftigen Schweizer Pharma- und Chemieunternehmen über 60’000 Personen in den USA.

Langfristige Herausforderungen im Blick behalten
Trotz der aktuellen Unsicherheiten bleibt die langfristige Perspektive für die Schweizer Pharmaindustrie positiv. Die alternde Weltbevölkerung, das hohe Innovationspotenzial und der starke Forschungs- und Entwicklungsstandort eröffnen Chancen. Insbesondere Schweizer Auftragsfertiger wie Lonza, Bachem oder Siegfried, die Produktionskapazitäten in den USA haben, profitieren davon, dass sie im Auftrag von Pharmafirmen lokal vor Ort Wirkstoffe entwickeln und Medikamente herstellen können. Angesichts der akuten Bedrohung durch Sektorzölle dürfen die langfristigen Herausforderungen des Pharmastandortes Schweiz jedoch nicht aus dem Blick geraten. «Im internationalen Konkurrenzkampf verliert die Schweiz an Boden. Aufstrebende Standorte wie China und Singapur investieren massiv und wollen auch zu einem führenden Forschungs- und Entwicklungsplatz werden. Für die Schweiz gilt es, die bestehenden Standortvorteile zu sichern und ein hochattraktiver Forschungsplatz zu bleiben. Gefragt ist eine weitsichtige Strategie, um die Wettbewerbsfähigkeit auch langfristig zu erhalten», so Hasenmaile. Erste Entwicklungen zeichnen sich bereits ab. Die Politik diskutiert aufgrund der aktuellen Ereignisse wieder über eine Schweizer Pharmastrategie, eine wichtige Debatte über die zentrale Branche des Landes.

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