Britannia rule the waves – Trotz Brexit, oder eben genau deshalb?

Nach dem Brexit steht das Vereinigte Königreich (UK) wirtschaftlich nicht schlechter da als Frankreich oder Deutschland. Anleger können von diesem Thema einige ganz grundsätzliche Dinge lernen.

Sicher erinnern Sie sich noch an den 23. Juni 2016? An dem Tag wurden die Ergebnisse des Brexit-Referendums in Grossbritannien publiziert. 52 Prozent der Briten entschieden sich für den Austritt aus der Europäischen Union (EU). Einen Tag später erklärte Premierminister David Cameron seinen Rücktritt.

Der Blick auf das kumulierte reale Wirtschaftswachstum seit dem Brexit-Referendum zeigt, dass das Königreich – zumindest im Vergleich zu den drei grossen europäischen Volkswirtschaften Frankreich, Italien und Deutschland – am besten abgeschnitten hat.

Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege, Flossbach von Storch

Es folgte ein jahrelanger Ablöseprozesses seines Landes von der EU – begleitet von lautstarken Diskussionen, aufsehenerregenden Schlagzeilen und Ängsten vor einem Crash der britischen Wirtschaft, von dem sich das Land nie mehr erholen sollte. Auch die europäischen Börsen spiegelten die allgemeine Aufregung wider.

Brexit: Zeit für eine Zwischenbilanz
Zuletzt ist es allerdings etwas ruhiger geworden um den Brexit. Zeit für eine kurze Zwischenbilanz: Wie steht es aktuell aus, um die Realwirtschaft in UK? Erfolgte nach dem Abschied aus dem europäischen Verbund der ökonomische Untergang – oder erleben wir einen wirtschaftlichen Kickstart mit Blick auf die Freiheiten, über die das Land als liberale Marktwirtschaft nun verfügt? Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Der Blick auf das kumulierte reale Wirtschaftswachstum seit dem Brexit-Referendum zeigt, dass das Königreich – zumindest im Vergleich zu den drei grossen europäischen Volkswirtschaften Frankreich, Italien und Deutschland – am besten abgeschnitten hat (siehe Grafik).

Jetzt kann man argumentieren, dass der leichte Vorsprung der britischen Wirtschaft in einem Bereich liegt, der statistisch nicht wirklich signifikant ist. Aber ganz sicher ist: Den grossen Crash hat es nicht gegeben. Natürlich prosperieren die Volkswirtschaften in unserem Vergleich nicht gerade. Und böse Zungen könnten gar behaupten, alle Patienten lägen doch in derselben Klinik, nur auf unterschiedlichen Stationen. Die strukturellen Probleme der Länder sind hinreichend bekannt.

Vier Jahre Brexit: Wirtschaftliche Folgen
Trotzdem ist das Vereinigte Königreich nicht runtergefallen, schnitt ökonomisch sogar deutlich besser ab als Deutschland. Natürlich bringt der Brexit dem Land grosse Probleme, wie sie etwa das Office for Budget Responsibility auflistete, das die öffentlichen Finanzen im Königreich analysiert. Im Vergleich zum Verbleib in der EU dürfte die langfristige Produktivität etwa um vier Prozent sinken, die langfristigen Im- und Exporte um rund 15 Prozent zurückgehen. Diese negativen Entwicklungen werden wohl nicht durch Handelsbeziehungen mit Nicht-EU-Ländern kompensiert werden können. Letztlich ist UK aber immer noch eine Volkswirtschaft, die trotz dieser Verwerfungen mit den drei Grossen in Europa mithalten kann. Das zeigt sich übrigens auch an der Währung. Nach den Verlusten nach Bekanntwerden der für viele überraschenden britischen Wahlergebnisse schlug sich das Pfund Sterling zuletzt wacker zum Euro (siehe Grafik).

Und so ist es beim Brexit wie so oft bei den (vermeintlich) grossen Themen: Man macht sehr viel Wind, aber die realwirtschaftlichen Effekte sind am Ende deutlich überschaubarer als das, was viele Beobachter gerne an Krisen- oder Boomszenarien in den Raum stellen. Langfristig orientierte Anleger sollten das bei ihren Investment-Entscheidungen berücksichtigen.

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